So geht's:
Egal, welche Art von Roman oder Film, ich werde immer die folgenden Fragen zu dem jeweiligen Beispiel beantworten:
- Was ist das globale Genre?
- Was sind die Pflichtszenen und Konventionen des globalen Genres?
- Was sind die Objekte des Verlangens?
- Was ist das kontrollierende Thema?
- Was ist das erzählerische Mittel und die Erzählperspektive?
- Anfang, Mitte und Ende jeweils in ein bis zwei Sätzen zusammengefasst.
Du kennst Faust 2 von Johann Wolfgang von Goethe noch nicht?
Vermeide, dass ich dir die Geschichte mit der folgenden Analyse spoiler, bevor du sie nicht selbst gesehen oder gelesen hast. Zu Amazon
Faust 2 – Analyse der Tragödie zweiter Teil
bei Filmen: DVD
bei Filmen: Blu-Ray
Hinweis: Die Einordnung des Genres erfolgt nach dem Story Grid. Mehr dazu in dem Beitrag: Buch & Genre.
Warum analysiere ich Faust?
Faust bietet unzählige Interpretationsmöglichkeiten. Warum also noch eine weitere Analyse?
Grund hierfür ist, dass ich zeigen möchte, dass man die Genrezuordnung und die Analyse nach dem Story Grid selbst auf das größte Meisterwerk der deutschen Literatur anwenden kann. Geschichten besitzen Struktur. Es gibt Muster. Und ich werde es beweisen. Genau hier und jetzt, wenn wir uns ansehen, wie klar Faust die obligatorischen Szenen und Konventionen seines globalen Genres erfüllt.
Anmerkung
Goethe beendete Faust – Der Tragödie erster Teil 1805.
Der erste Teil ist allgemein als Gretchentragödie bekannt, die mit der globalen Geschichte der Gelehrtentragödie zusammenhängt.
Faust 2 wurde 20 Jahre nach Faust 1 geschrieben und 1831 veröffentlicht. Da sich die globale Geschichte (= die Gelehrtentragödie) über beide Bücher spannt, werde ich Faust 1 und 2 analysieren und sie gleichzeitig als die einzelnen Werke betrachten, die sie für sich sind. In diesem Artikel gehe ich auf Faust 2 – Der Tragödie zweiter Teil ein.
Hier kommst du zum ersten Teil der Analyse: Faust 1 von Johann Wolfgang von Goethe.
1. Was ist das globale Genre?
Faust 2 ist eine Fantasy-Geschichte mit dem primären Genre Moral - Erlösung im Zusammenhang mit dem sekundären, externen Genre Horror – Übernatürlich.
Während der erste Teil von Faust noch zu dem Genre Moral – Strafbar gehörte, hat sich im zweiten Teil des primäre Genre zu Erlösung gewandelt.
Außerdem finden wir in Faust 2 das interne Genre Weltanschauung – Ernüchterung für Mephisto, der erkennt, dass er Fausts Seele nicht gewinnt, weil er die Macht der Liebe und die Möglichkeiten unterschätzt hat, in der Liebe ausgedrückt werden kann.
Faust ist in Versen geschrieben.
2. Was sind die Pflichtszenen und Konventionen des globalen Genres?
Globales Genre: Moral – Erlösung
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Szene: Ein Schock stört das starre authentische Selbst
Faust will Helen retten, dass Paris sie nicht entführen kann. Er wird wie vom Blitz getroffen und bleibt bewusstlos liegen. -
Szene: Der Protagonist drückt mit einer direkten Ablehnung des Rufs nach Veränderung (nach der Heldenreise) seine innere Dunkelheit aus.
Faust will Helen finden. Es ist immer noch Liebe, die seine Handlungen kontrolliert. -
Szene: Der Protagonist befindet sich in einem Alles-ist-Verloren Moment und entdeckt entweder seinen inneren moralischen Kompass oder er wählt den unmoralischen Weg.
Faust hat ein gebrochenes Herz, weil er seinen Sohn Euphorion und seine Frau Helen verloren hat, die ihm sagt, dass Glück und Schönheit niemals dauerhaft miteinander vereint werden können. Faust hat gelernt, dass Raum und Zeit nicht so leicht zu erobern sind, dass er Altes und Modernes in Synthese bringen kann. Deshalb lehnt Faust Mephistos Angebot für mehr Vergnügen und Ruhm ab, und will sich stattdessen mit seinem Plan beschäftigen, indem er Land vom Meer zurückgewinnt, um etwas für die Allgemeinheit zu tun. Obwohl Faust immer noch Mephistos Hilfe nutzt, möchte er Mephistos Kraft für die Schöpfung und nicht für die Zerstörung nutzen. Er möchte Ordnung in das Chaos bringen, indem er zerstörerische Kräfte für konstruktive Zwecke einsetzt. -
Szene: Der Protagonist entscheidet sich dazu, sich zu ändern.
Faust erfährt, dass Mephisto und dessen drei Krieger das alte Paar getötet haben. Faust wird von Reue und Ärger überwältigt. Es ist das erste Mal, dass er nur sich selbst für die Folgen seiner Taten verantwortlich macht. Dies weist auf einen großen Schritt in Richtung seiner wiedergewonnenen Moral hin. Faust kann daher der Sorge nicht widerstehen und sagt ihr, dass er gelernt hat, dass der Mensch nicht nach unmöglichen Dingen streben sollte, sondern sich nur mit dem befassen sollte, was im menschlichen Leben legitim erreichbar ist. -
Szene: Der Protagonist opfert sich für das Wohl eines Einzelnen, einer Gruppe oder der Menschheit oder er beschließt, selbstsüchtig zu bleiben.
Faust ist entschlossen, sein Projekt zu Ende zu bringen, weil er seine ständige Besessenheit über sein eigenes Schicksal endlich überkommt und stattdessen seine Bedeutung im Dienst für die Menschheit findet. Vor allem in dem menschlichen Kampf, eine bessere Welt aufzubauen. -
Szene: Protagonist steht dem buchstäblichen oder metaphorischen Tod gegenüber und verliert entweder den Kampf, erlangt jedoch Selbstachtung, Sinn und Frieden oder gewinnt den Kampf, verliert aber diese Dinge.
Faust weiß nicht, dass die Lemuren sein Grab ausheben. Er glaubt, dass sie sein Lebenswerk fortsetzen. Faust ist erfüllt von einer stolzen Zukunftsvision, in der die Menschen in Wohlstand und Glück leben können, sobald sie das zurückeroberte Land bewohnen können. Faust spricht die Worte aus dem Pakt von Teil 1 aus, obwohl er sie auf die Zukunft und nicht auf den gegenwärtigen Moment bezieht.
Faust verliert sein Leben, gewinnt aber gegen Mephisto, weil der Teufel nie in den Besitz von Faust seiner Seele kam. Die moralische Entwicklung von Faust überwiegt all die Jahre, in denen er unmoralisch handelte. Er wird von den Engeln gerettet und findet Erlösung.
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Konvention: Verabscheuungswürdiger Protagonist beginnt an seinem Tiefpunkt.
Faust scheint keine Erinnerung an seine Vergangenheit zu haben, die seine moralischen Entscheidungen beeinflussen könnten. Er beginnt die Geschichte mit einer Lüge, indem er vorgibt, der Gott des Reichtums zu sein. -
Konvention: spiritueller Mentor / Kumpel
Mephisto. -
Konvention: Scheinbar unmöglicher externer Konflikt
Faust sowie der Erfolg seines Projekts hängen von der magischen Kraft des Teufels ab. Faust muss das Monster überwinden, um im Jenseits Ruhe finden zu können. -
Konvention: Geister der Vergangenheit des Protagonisten quälen ihn / sie.
Es gibt die vier grauen Weiber, die aus dem Rauch der brennenden Hütte des alten Paares aufgestiegen sind und die Faust besuchen kommen. Sie sind Mangel, Not, Schuld und Sorge, aber nur der Letzten gelingt es, zu Faust durchzudringen. -
Konvention: Hilfe von unerwarteten Quellen
Nach dem Tod von Faust will Mephisto seine Seele nehmen, aber Faust wird von Engeln gerettet.
3. Was sind die Objekte des Verlangens?
Externes Objekt des Verlangens: Faust will die absolute Wahrheit und den Sinn des Daseins kennen, um den Moment zu finden, wo er absolut zufrieden sein kann und nach nichts mehr streben möchte. Faust will seine physische Natur überwinden und auf spiritueller Ebene Frieden finden. (Weltanschauung)
Internes Objekt des Verlangens: Faust muss das Leben und das Leben anderer schätzen lernen, um zu verstehen, was der Sinn des Lebens ist. Er muss anfangen, seine innere Gabe (Wissen und Streben) zu nutzen, um eine bessere Welt für die Menschheit zu schaffen. (Moral)
4. Was ist das kontrollierende Thema?
Das Gute triumphiert, wenn wir die Enttäuschungen in unserem Leben akzeptieren und einsehen, dass wir nicht alles erreichen können, was wir wollen. Aber solange wir optimistisch bleiben und lernen, die Kräfte der Zerstörung für konstruktive Zwecke zu nutzen, um etwas für die Allgemeinheit zu schaffen, werden wir in unserem Leben einen Sinn finden können.
5. Was ist das erzählerische Mittel und die Erzählperspektive?
Es gibt keinen Erzähler, denn Faust wurde als Theaterstück geschrieben und deshalb haben wir meist nur den Dialog der Figuren sowie gelegentlich einige Regieanweisungen, als ob wir in einem Theater säßen und Zeuge der Aufführung der Geschichte sind.
Das beabsichtigte Publikum ist das allgemeine Publikum, welches das Stück sehen möchte. Der Zweck des Schauspiels besteht darin, eine warnende Geschichte über das Streben eines Gelehrten zu erzählen, der alles wissen will und der so über die Grenzen dessen, was er lernen kann, verärgert ist, dass er sogar einem Pakt mit dem Teufel eingeht, um herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Die Geschichte ist in der Gegenwart geschrieben, die in der späten Neuzeit (Mitte des 18. Jahrhunderts) spielt und in der auch Kreaturen aus der griechischen Mythologie auftauchen.
Wir erleben die Geschichte, während sie sich entfaltet. Die Distanz des Publikums zum Protagonisten ist näher als in Faust 1, da wir in unserem Erlebnis der Geschichte nicht herausgerissen werden, in dem uns bewusst gemacht wird, dass wir ein Stück sehen (Vgl. Teil 1 und Vorspiel auf dem Theater)
Bei Faust gibt es das Element der dramatischen Ironie (Faust weiß nichts über die Wette zwischen Gott und dem Teufel, aber der Zuschauer schon), und wir haben Spannung. Es gibt auch die externe Fokalisierung, weil wir als Publikum nicht wissen, wie Mephisto versuchen wird, seine Wette zu gewinnen.
Anfang, Mitte und Ende jeweils in ein bis zwei Sätzen zusammengefasst.
Anfang: Als Faust vorgibt, der Gott des Reichtums zu sein und dem unersättlichen Kaiser auf die Idee von Papiergeld bringt, muss er ihn schon bald noch mehr unterhalten. Faust muss sich entscheiden, ob er es wagt, in das Reich der Mütter zu gehen, um Paris und Helena für ein griechisches Theaterstück zum Kaiser zurückzubringen, oder ob er sein Leben nicht riskiert. Faust bringt Helen und Paris zum Kaiser und er ist von Helenes Schönheit so beeindruckt, dass er sie wieder finden möchte.
Mitte: In der Zeit des Krieges zwischen Troja und Persien verspricht Faust Helena seine Liebe und flieht mit ihr nach Arkadien, aber als er sie und seinen einzigen Sohn verliert, muss er sich entscheiden, ob er der Liebe wieder nachgehen will oder ob er den Kampf gegen die Naturgewalten aufnehmen will. Faust nutzt die drei Gewaltigen von Mephisto, um die Schlacht für den Kaiser zu gewinnen, der Faust mit Land in der Nähe des Meeres belohnt, welches Faust für die Umsetzung seines Planes nutzen will.
Ende: Das Projekt, Land aus dem Meer zurückzugewinnen, ist erfolgreich und beweist die Dominanz der menschlichen Ordnung gegenüber des uneingeschränkten Chaos’ , aber Faust hält sein Projekt für gescheitert, weil er von der bescheidenen Lebensweise eines alten Paares gestört wird. Er befiehlt, dass das Paar aus ihrer Hütte rausgeschmissen werden soll, aber als er erfährt, dass die Drei Gewaltigen das alte Paar getötet haben, muss er die Schuld für seine Taten auf sich nehmen oder in ewiger Verdammnis leben. Faust gibt sich selbst die Schuld und das graue Weib Sorge macht ihn blind. Faust erkennt jedoch, dass der Zweck seines ständigen Strebens im Dienste für andere war, um eine bessere Welt zu errichten, und diese Erkenntnis bringt seine Seele zur Erlösung.
Faust 1 und 2 in der Zusammenfassung
Wenn wir die kontrollierende Idee für Teil 1 und 2 betrachten, könnten wir wahrscheinlich tausend Variationen finden. Faust bietet einen mächtigen Intrepretationsspielraum. Aber ich konzentreire mich in meiner folgenden Zusammenfassung auf die Geschichte an sich, wie sie auf mich gewirkt hat.
Das Gute triumphiert, wenn selbst Gott dazu bereit ist, gegen den Teufel zu wetten, nur um zu beweisen, dass ein Mann, der sich des rechten Weges wohl bewusst ist, sich auch irren darf, solange er mit seinem Wissen und seinem Streben (selbst wenn er durch egoistische Ambitionen motiviert wird) der Welt dient und sogar die Vergebung von denen erlangt, die er im Stich ließ. Denn es ist die Liebe, die eine rastlose Seele retten kann, die in der Welt der Lebenden nie wirklich Frieden fand und bis zum Ende optimistisch blieb und mit aller Kraft versuchte, noch vor dem Jenseits den inneren Frieden zu finden.
Und hier noch Anfang, Mitte und Ende für Faust 1 und 2 in der Zusammenfassung.
Anfang: Wenn ein Gelehrter einen Pakt mit dem Teufel eingeht, muss er sich entscheiden, ob er seine neu gewonnene Macht für egoistische Bedürfnisse oder zur Verbesserung des Lebens anderer einsetzen will. Er beschließt, seine Lust zu befriedigen, indem er ein junges unschuldiges Mädchen verführt, was zu ihrem und dem Tod ihrer gesamten Familie führt.
Mitte: Immer noch bestrebt, einen Sinn in seinem Leben zu finden, kombiniert Faust alte Schönheit und modernes Wissen, indem er einen Sohn mit der griechischen Prinzessin Helena zeugt. Nachdem er die beiden verliert, steht er vor der Entscheidung, ob er wieder lieben oder ob er an einem anderen Projekt arbeiten möchte. Faust beschließt, gegen die Natur selbst zu kämpfen, während er immer noch Mephistos magische Hilfe für seine Pläne nutzt.
Ende: Durch das Töten eines unschuldigen Paares aufgrund seiner eigenen Unzufriedenheit muss sich Faust entscheiden, ob er die Schuld für deren Tod übernimmt oder ob er die Macht des Teufels weiterhin nutzen sollte. Faust erkennt, dass der Mensch nicht nach unmöglichen Dingen streben sollte, sondern sich nur mit dem befassen sollte, was im menschlichen Leben legitim erreichbar ist. Faust findet heraus, dass der Mensch durch den Dienst für Andere und die Teilnahme an konstruktiven Handlungen seine Bedeutung im Leben finden kann.
Ich hoffe, die Analyse von Faust 1 und 2 hat dir gefallen, und war nicht so trocken, wie mancher Deutschunterricht ;-) .
Über deine Kommentare zu dieser Ausarbeitung würde ich mich sehr freuen. Bis demnächst =)