Kaputt, erschöpft und eingespannt
Es ist 3:00 Uhr morgens. Ich sitze in meinem Bett. Die Beine noch unter der Decke, die ich letzte Nacht unter der Matratze herauszuziehen versuchte. Hier in den Staaten ist es üblich, dass sich die Bettdecke um das gesamte Bett spannt ... einmummeln ist nur unter größter Anstrengung nach dem Gewinnen des Tauziehenwettbewerbs möglich. Bei mir war es unentschieden. Der Kompromiss: So weit im Bett nach unten rutschen, bis man die Decke halb über den Kopf ziehen kann.
Doof, ich weiß. Ich hätte ja auch aufstehen können, Matratze anheben und dann die Decke hervorziehen können. Aber wenn man fast 24h auf den Beinen war, funktioniert Motorik und Denkprozess nicht mehr so gut miteinander.
Das ist übrigens auch für deine Romanfiguren zu berücksichtigen.
Auch Romanfiguren haben Bedürfnisse
Figuren wirken unrealistisch, wenn sie immer unter einem optimalen Befinden handeln oder Entscheidungen treffen. Wenn deine Romanfigur den gesamten Tag Spuren gesucht und Verdächtige interviewt hat, und vielleicht nur ein paar Kekse zwischendurch hatte, wird sie am Abend nicht mehr so denken und handeln können, wie z.B. ihre Kollegen es von ihr gewohnt sind. Wenn man hungrig ist, wird an ungemütlich. Kommt dazu noch Müdigkeit dazu, spiegelt sich dieser Erschöpfungszustand (Energiemangel) auch im Körper wieder. Es wird einem schlecht und der Kreislauf spielt nicht mehr mit. Es ist daher gut, wenn man beobachtet, was man Figuren zumutet und wie sich diese Herausforderungen auf ihren Körper und Psyche auswirken.
Am einfachsten ist es, wenn du dir dabei die Bedürfnispyramide von Maslow anschaust. Shawn Coyne betrachtet die Pyramide eher als eine Art Tankanzeige.
Wenn eins der grundlegenden Bedürfnisse sehr stark abnimmt, wirkt sich das auf ihr übergeordnetes Streben aus. Wenn eine Autorin, die nach Selbstverwirklichung und Transzendenz strebt, gerade bei ihren Nachforschungen in der Wüste am Verdursten ist, dann steht dieses psychologische Bedürfnis an erster Stelle und verändert ihr Ziel. Ihr Hauptziel mag zwar noch immer der Roman sein, aber um dieses Ziel erreichen zu können, muss sie ihre überlebenswichtigen Bedürfnisse wie Hunger, Durst und Sicherheit so weit ›aufgetankt‹ haben, dass sie sich wieder auf ihr eigentliches Streben konzentrieren kann.
Okay, jetzt ist es schon 3:34 Uhr. Ich konnte nicht mehr schlafen, ist ja auch schon fast halb 11 nach mitteleuropäischer Zeit und das Gestern will noch auf Papier gebracht werden – zumindest in digitaler Form ;-)
Die Reise begann in Dresden mit SSSS
Gestern ging es also von Dresden nach Nashville. Schon beim Abholen der Boarding-Pässe für meine 3 Flüge gab’s die erste Überraschung. Vierfach SSSS auf meinem Boarding-Pass von Frankfurt am Main nach Chicago. Sprich, mir wurde eine Sonderbehandlung versprochen, sodass ich mir sicher sein kann, dass ich die Vereinigten Staaten von Amerika und den Flug dorthin auch nicht mit meiner Anwesenheit gefährden werden. Sehr zuvorkommend, aber ich hätte eine solche Frage auch mit einem ›Nein‹ beantworten können.
Jedenfalls war zwischen mir und der Mitarbeiterin eine wunderbare Form der dramatischen Ironie. Sprich, ich bin die Hauptfigur in meiner Geschichte und sie in dem Fall die Erzählerin. Da sie mehr über diese Sicherheitschecks wusste als ich, die als Protagonistin im Dunkeln tappte, kam es zu der nach Genette bezeichneten Nullfokalisierung.
Es stellte sich heraus, dass dieser vierfach SSSS Sicherheitscheck nicht meinen Vorstellungen entsprach. Ist wahrscheinlich besser so, dass unsere Erwartungen manchmal enttäuscht werden, sonst hätte ich nackt neben einer Sicherheitsbeamtin gestanden, die durch ein Scanprogramm das Wort ›Bombe‹ auf meinem Rechner findet (und das nicht nur einmal, wenn wir an meinen Thriller denken ) und dann wäre ich schon nach Guantanamo abgeführt worden.
Die Realität unterschied sich von meiner Fantasie. Ein Raum von ca. 10 Sicherheitsleuten, die sich alle an ihre Tische lehnten, die zusammen wie ein U aufgestellt waren. Die Stühle waren ja auch für die Lotteriegewinner mit dem SSSS-Zeichen auf ihrem Boarding Pass bestimmt.
Mit mir wurden zwei Mädchen aus einer Schulklasse zum Sicherheitscheck gebracht, die noch unter 18 waren und deshalb nur in Begleitung eines Erwachsenen zu dem Check durften. Vielleicht hat man mir mit meinen 30 Jahren auch diese Jugendlichkeit angesehen, und man hat mich deswegen von meinen Vorstellungen verschont. Letztlich hieß SSSS nichts anderes als ein Abstrich meines Gepäcks nach Resten von Explosivstoffen oder Drogen (keine Ahnung) und einmal Schuhe ausziehen und Füße abtasten. In meiner Aufregung habe ich noch zu der Beamtin gesagt: »Wenn sie etwas in meinen Schuhen finden, verklage ich Deichmann, denn die Schuhe habe ich erst neu gekauft.«
Das war also Komplikation 1 auf meiner Reise nach Nashville. Und wie es mit den Komplikationen so ist, müssen sie sich in ihrer Intensität steigern. Das heißt, es muss immer mehr auf dem Spiel stehen.
Von Frankfurt nach Chicago
Nachdem ich ohne weitere Probleme von Frankfurt nach Chicago fliegen konnte, musste ich mich in Chicago ranhalten, dass ich meinen Weiterflug nach Nashville nicht verpasste. Jeder Passagier, der auch bei Transitflügen das erste Mal US-amerikanischen Boden berührt, muss sein Gepäck holen und durch den Zoll und Immigration. Mein Wurst-Käse-Brötchen habe ich noch der Flugbegleiterin geschenkt, sodass ich nichts zu deklarieren hatte.
Wenn man sein Gepäck bei sich hatte, musste man erst einmal an einen Schalter, wo man die Hauptfragen des im Flugzeug ausgefüllten Immigration-Zettels mit der Anmeldung der einzuführenden Waren noch einmal ausfüllte. Und gleichzeitig Fingerabdrücke abgab und ein Bild von sich machen musste. Bei mir ist das irgendwie schief gelaufen und eine Betreuerin hat mein Ticket durchgekreuzt und mich zu einem separaten Schalter geschickt. Okay, war das nun das Ende? The Terminal nun in neuer Besetzung?
Wahrscheinlich hatte ich das Gerät falsch bedient und ich eine Zollmitarbeiterin schoss mit einer Art Videocam ein zweites Bild von mir. Zu deklarieren hatte ich nur Müsliriegel, Schokolade ... und Candy. Sie grinste. Und ich wusste, es ist alles gut ;-)
Einreise erlaubt.
Von Chicago nach Nashville
Was könnte noch schlimmer sein, als eine verwehrte Einreise in die USA?
Ich überlass euch die ironischen Antworten ;-) und sage: ein Flugzeugabsturz.
Schlechtes Wetter über Nashville, das die Maschine durchrütteln ließ. Ich beobachtete nur noch die Gesichter der Crew. Wenn sie nur einen Funken Panik ausgestrahlt hätten, dann wäre meine innere Unruhe und die Fantasie, gefüttert mit so vielen Filmszenarios, bestätigt. Aber auch touchdown 3 gelang. Ich bin in Nashville angekommen.
Einen Mietwagen habe ich mir auch geholt. Ein königsblauer Nissan Versa. Schick aber Automatik! Ich weiß doch gar nicht, was ich mit meinem linken Fuß anstellen sollen.
Ach ja, und wer hat es auch schon mal geschafft, sich noch bei der Fahrzeugauswahl aus dem ausgesuchten Wagen auszusperren? Es stellt sich heraus, wenn man mit dem Schlüssel den Kofferraum öffnet, dann den Schlüssel wieder ins Auto legt und die Tür schließt, dass dann auch die Karre zu ist.
Ersatzschlüssel scheint der Vermieter auch nicht zu haben. Immerhin fahre ich mit einem New Yorker Kennzeichen. Daher musste ein Luftkissen und ein Draht geholt werden.
So gesehen ist der Tollpatsch Mel in Nashville angekommen. =)