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Von Eva Maria Nielsen @deine_geschichtenhebamme
Als Lektorin und Schreibcoach habe ich sehr oft einen Tipp, den die Autoren und Autorinnen, die mit mir zusammenarbeiten, immer wieder hören. Es ist fast mein Mantra: Bringe auf jede Seite mindesten drei Sinne ein. Und meine Klienten erinnern mich auch gern daran.
Mir fällt im Lektorat immer wieder auf, dass literarische Texte oft nur auf einen Sinn fokussieren: Den Sehsinn.
Durch die Augen des Protagonisten erleben die Leser die Welt. Sie sehen sie. Aber wenn man ihnen einen größeren Lesegenuss schenken will, sollte man mehr Sinne bedienen. Unsere Sinne sind die Tore zur Welt. Im realen Leben, aber auch in der fiktionalen Welt.
Was kann der Protagonist in der Situation hören? Im Wald hören wir andere Geräusche als am Strand oder in einem leeren Gebäude.
Wie riecht es an am Ort der Handlung? Ein Schweinestall versprüht einen anderen Odeur als ein Schönheitssalon oder ein Krankenzimmer. Aber auch im mittelalterlichen Städten, wo jeder seine Notdurft aus dem Fenster kippte, stank es penetranter als in heutigen Großstädten.
Es gibt ja noch mehr Sinne, den Tastsinn, den Geschmackssinn, den 6. Sinn. Was wäre eine erotische Szene ohne diese Sinne?
Wir Menschen erfahren unsere Welt durch unsere Sinne. Und unsere Leser machen das auch.
Du hast also fünf großartige Werkzeuge, um besser zu schreiben. Es wäre dumm, sie nicht zu nutzen. Warum also nicht alle nutzen?
Wenn du Beschreibungen nicht gern schreibst, habe ich diesen Tipp für dich: Schreib erst die Dialoge. Und dann, wenn du damit fertig bist, füge die Beschreibungen und Sinne hinzu. Das kannst du bei allen Szenen in verschiedenen Überarbeitungsgängen machen.
Damit dir das besser gelingt, habe ich heute ein kleines Spiel für dich ausgedacht, das dir helfen kann, besser zu fokussieren. Die Idee habe ich von meiner Kollegin Janice Hardy.
Lasst uns also brainstormen, wie deine Figuren ihre Welt sehen. Und wie sie ihre Erfahrungen in Worte fassen können.
Wenn du eine ähnliche Abneigung gegen Beschreibungen hast, nicht weißt, welche Details du verwenden sollst, oder einfach nur nach lustigen Tipps suchst, die dir bei der Beschreibung helfen, dann probiere das hier aus:
Es ist leicht, sich für die großen Sinne wie Sehen oder Hören zu entscheiden. Die werden fast immer bedient. Aber vergiss nicht die weniger genutzten Sinne. Einige der interessantesten Details kommen oft aus unerwarteten Quellen. Wenn du etwas Abwechslung willst, benutze einen Zufallsgenerator. Würfele einen der fünf Sinne aus
Vielleicht weißt du schon, dass eine Szene dir nicht so gelungen ist, wie du es dir wünschen würdest. Oder aber du nimmst eine, die du für richtig gut hältst, der du aber einen zusätzlichen Kick geben willst. Lese die Szene durch, stell sie dir vor und frage dich:
Welches ist das vorherrschende Gefühl in dieser Szene? Das ist die Emotion, die du verstärken wirst.
Du überarbeitest die Szene, indem du auf den gewählten Sinn fokussierst, aber auch immer das vorherrschende Gefühl im Auge behältst.
Ein Beispiel: Wenn du den Geruchssinn gewählt hast und das vorherrschende Gefühl in der Szene Trauerist, dann denke an alle Gerüche, die mit Trauer verbunden sind. Schau dir die Szene an und frage dich:
Was in der Szene riecht traurig?
Welcher Geruch macht die Perspektivfigur traurig? Oder lässt sie an etwas Trauriges denken?
Welchen Geruch nimmt die Perspektivfigur nur wegen dieser Emotion wahr?
Welche angenehmen Gerüche würden aufgrund der Emotion negativ bewertet werden? Zum Beispiel: Ein normalerweise angenehmer Geruch macht die Perspektivfigur nur dann traurig oder lässt sie weinen, wenn sie in einer traurigen Stimmung ist.
Warum ist der Geruch das, was die Perspektivfigur in dieser Szene am meisten wahrnimmt? Überlege, ob das was über die Vergangenheit der Figur sagt? Wo hat sie diesen Geruch schon mal erlebt?
Welche traurigen Gerüche könnten sich positiv auf die Perspektivfigur auswirken? Zum Beispiel, dass die Trauer der anderen sie glücklich oder erleichtert macht. Vergiss nicht, auch über das Warum nachzudenken.Und das Ziel der Figur in dieser Szene.
Wenn du eine Szene mit einer bestimmten Kombination aus Gefühlen und Emotionen zu betrachtest, schreibst du automatisch sinnlicher und deine Texte werden kreativer.
Es geht dabei nicht nur um die grundlegenden Details. Das wäre zu leicht. Gib dir Mühe. Finde einzigartige Elemente, die die Szene auf einprägsame Weise zum Leben erwecken. Dieser Überarbeitungstipp hilft dir, die Sinne zu schichten, denn meistens ist es so, wie ich schon oben beschrieben habe: Der Sehsinn ist der erste Sinn der Beschreibung.
Geh jetzt noch etwas tiefer. Wähle den Sinn, den der Leser wohl kaum mit dem Gefühl verbindet und mit dem man nicht rechnet, dass er in der Szene auftaucht.
Wenn die Szene in einem dunklem unterirdischen Tunnel spielt, ist der Sehsinn wahrscheinlich der schwierigste Sinn, mit dem du arbeiten kannst. Aber wenn du dir überlegst, was jemand im Dunkeln sieht oder wie er versucht zu sehen, kannst du eine interessante Szene schreiben, indem du ungewöhnliche Details herausarbeitest.
Wähle die entgegengesetzte Emotion: Wenn die vorherrschende Emotion in der Szene Freude ist, was wäre, wenn die Perspektivfigur die Szene von einem traurigen oder unglücklichen Standpunkt aus sehen würde? Das funktioniert natürlich nur bei Szenen, in denen der Widerspruch zur Szene passt, aber es macht trotzdem Spaß, einfach mal zu sehen, welche Details auftauchen könnten.
Wähle zwei Emotionen und/oder Sinne: Wenn die Szene emotional aufgeladen ist, versuche, die Sinne zu verdoppeln. Verwende z. B. Geruch und Tastsinn für eine Person, die im Dunkeln gefangen ist. Oder Geräusche und Geschmack für jemanden, der gerade auf einem kulinarischen Fest abserviert wurde. Wenn du eine zusätzliche Herausforderung suchst, wähle widersprüchliche Emotionen oder Sinne und spiele mit den Kontrasten.
Also, ran an den Text. Ich wünsche dir viel Spaß bei den Beschreibungen. Finde Wege, um mehr auszusagen, als nur das, was man sieht und wonach es zuerst aussieht.
So macht das Schreiben und Überarbeiten nicht nur mehr Spaß, sondern du fügst vielleicht auch einen einzigartigen und fesselnden Aspekt zu einer Szene hinzu.
Viele Leserinnen und Leser sind daran gewöhnt, in ihren Romanen immer wieder die gleichen Beschreibungen zu lesen. Unser Gehirn greift ganz natürlich auf die gängigste oder offensichtlichste Art und Weise zurück, etwas zu beschreiben. Wie oft hast du schon einen Sonnenuntergang gelesen, der mit „wie ein gemalter Himmel“ oder „ein Kaleidoskop von Farben“ beschrieben wurde? An diesen Beschreibungen ist nichts auszusetzen, aber sie bringen der Geschichte nichts Neues oder Einprägsames.
Aber wenn jemand den Sonnenaufgang mit „Der Frühsommerhimmel hatte die Farbe von Katzenkotze“ wie Scot Westerfeld in Uglies (meine freie Übersetzung), dann bleibt das im Gedächtnis haften.
Eine eigenartige Stille lag über Stanbury. Eine große und umfassende Stille, so als habe die Welt aufgehört zu atmen. Wahrscheinlich, dachte sie, sind alle weggegangen.
aus: Charlotte Link:_ Am Ende des Schweigens.
Das Meer ist heute aufgewühlt, stahlgrau wie der Himmel und zersplittert wie geborstenes Glas.
aus: Sharon Bolton: Dein kaltes Herz.
Wie Blumen öffneten sich die weißen Sahnewolken, verwoben sich in zarten Schlieren, stiegen auf und ab und sanken schließlich zurück in den dunklen Grund der Tasse.
aus: Elisabeth Herrmann: Der Teepalast.
Der Haupteingang der kleinen weißen Dorfkirche mit dem Turm, der aussah, als müsste er noch etwas wachsen, war abgeschlossen.
aus: Carsten Henn: Der Geschichtenbäcker.
Sie wollte diesen Mann, aber sie wollte ihn nicht mit billigen Tricks. Solch ein Betrug wäre ein Geburtsfehler für eine Beziehung.
aus: Carsten Henn: Der Geschichtenbäcker
Giacomo nickte und ließ sich sein Glück nicht anmerken. Eine dumme Angewohnheit, aber so war es immer schon gewesen. Es kam ihm vor, als ginge etwas vom Glück verloren, wenn er es herauslies, dabei war es wie ein aufkeimende Pflanze, die man wachsen lassen musste, damit sie reife Früchte trug.
aus: Carsten Henn, Der Geschichtenbäcker
Auf halben Weg bleibt sie beim Klang einer Violine stehen, die Töne erlesen wie reife Früchte.
aus: V.E. Schwab: Das unsichtbare Leben der Addie LaRue
Das Versprechen des Frühling hat sich wie ein Meer bei Ebbe zurückgezogen und einer feuchten Winterkälte Platz gemacht. aus: V.E. Schwab: Das unsichtbare Leben der Addie La Rue
Nimm dir fünf Minuten Zeit und mach diese Übung mit einer deiner Szenen. Mische sie und versuche es mit einer Szene, die du für gut geschrieben hältst, und dann mit einer, von der du weißt, dass sie überarbeitet werden muss. Welche Szene hat sich mehr verbessert? Hast du dich in der guten Szene mehr angestrengt oder in der schwachen?
Janice Hardy: Fixing Your Setting & Description Problems: Book Three: Revising Your Novel (English Edition)
V.E. Schwab: Das unsichtbare Leben der Addie LaRue
Sharon Bolton: Dein kaltes Herz
Elisabeth Herrmann: Der Teepalast.
Charlotte Link: Am Ende des Schweigens.
Carsten Henn: Der Geschichtenbäcker
Am 19. Dezember 2023 besprechen wir im Buchclub für Autoren Carsten Henn: Der Geschichtenbäcker.
Termine des Buchclubs für 2024:
19. März 2024: Sharon Bolton: Dein kaltes Herz
18. Juni 2024: Nicholas Sparks Mein letzter Wunsch
17. Septbember 2024: Elisabeth Hermann: Der Teepalast
17.Dezember 2024: Somerset Maugham: Der bunte Schleier
Eva Maria Nielsen bildet sich weiter als Story-Grid-Lektorin, Autorencoach und gehört zum Team des Bookerfly Clubs. Wenn sie nicht gerade Romane schreibt, unterrichtet und coacht sie andere Autorinnen und Autoren, wie sie ihr Handwerk verbessern können. Sie ist die Gründerin des Bookerfly Buchclubs für Autoren. Du kannst sie regelmäßig auf dem Bookerfly Podcast hören - zusammen mit ihren wunderbaren Kolleginnen. Erhältst du schon den Newsletter? Wenn nicht, dann geht es hier entlang.