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Hast du dich schon einmal gefragt, ob deine Protagonistin jede Figur in deiner Geschichte gleich behandelt? Ob sie mit ihrer besten Freundin so spricht wie mit ihrem Chef? Ob ihre kleine Schwester genauso auf sie wirkt wie der zwielichtige Fremde in der Bahn?
Wenn nicht, ist jetzt der perfekte Moment, um dir genau diese Fragen zu stellen – denn differenzierte Beziehungen machen deine Geschichte lebendig und emotional greifbar.
Klar, deine Hauptfigur hat ein Ziel. Aber niemand lebt in einem Vakuum. Selbst in einer einsamen Marskolonie gibt es Nebenfiguren – seien es KI-Avatare, Erinnerungen oder Gegner. Und je mehr diese Nebenfiguren eigenständig wirken, desto echter fühlt sich dein Roman an.
Wenn jede Figur austauschbar ist – wenn der Love Interest genauso spricht und agiert wie der Sidekick oder die Schwester – dann fehlt etwas. Nämlich: Beziehungstiefe.
Du kannst das leicht testen: Was würde passieren, wenn du zwei Figuren im Dialog mit der Hauptfigur austauschst? Bleibt der Tonfall gleich? Die Wortwahl? Die Dynamik?
Wenn ja, dann ist das ein Hinweis, dass diese Beziehungen noch nicht klar genug definiert sind.
Beispiel: In Die Mitte der Welt von Andreas Steinhöfel merkt man deutlich, wie anders Phil mit seinem besten Freund Kat, seinem Schwarm Nicholas oder seiner exzentrischen Mutter Glass spricht – jede Beziehung hat einen eigenen Klang, eigene Konflikte und eine eigene Energie.
Menschen (und Figuren) sind komplex. Sie widersprechen sich, sie tragen Widersprüche in sich, sie sind mal nervig, mal liebevoll. Genau das macht sie glaubwürdig. Und: Genau das spiegelt sich in den Beziehungen deiner Figuren wider.
Jede Beziehung, die deine Hauptfigur pflegt, ist eine Chance:
Denn die beste Freundin darf Dinge sagen, die die Mutter nie sagen würde. Der Gegenspieler kann Wunden aufdecken, die der Ehemann nicht einmal kennt. Beziehungen sind wie Spiegel, und je mehr verschiedene Spiegel deine Figur hat, desto vollständiger wird ihr Bild.
Beispiel: In der Serie Dark hat Jonas eine andere Beziehung zu jedem Familienmitglied und Freund – und durch Zeitreisen sogar zu sich selbst. Diese Unterschiede erzeugen emotionale Tiefe und machen den Plot greifbarer.
Stell dir vor, du setzt dich mit deiner Protagonistin an einen Tisch und stellst ihr folgende Fragen:
Solche Fragen bringen oft überraschende Antworten zutage – und vor allem Szenenideen, die du sonst nie hattest. Denn plötzlich wird klar: Die Figur, die tröstet, ist nicht immer die, der man vertraut. Und der Mensch, dem man alles erzählt, ist vielleicht nicht bereit, zuzuhören.
Alltagsbeispiel: Vielleicht hast du eine Freundin, mit der du über deine Sorgen reden kannst – aber bei deiner Mutter spielst du die Starke. Genau solche Dynamiken machen Geschichten glaubwürdig.
Viele starke Geschichten haben eine Figur, die das Herz bildet – emotional, menschlich, manchmal unbequem. Diese Figur zeigt, wie sich die Geschehnisse anfühlen. Sie sagt: „Es geht nicht um die Welt. Es geht um meine Familie.“ Und genau dadurch berührt sie deine Leserschaft.
Herz-Figuren dürfen verletzlich sein. Sie sind empathisch, sie spüren, was unausgesprochen bleibt. Und sie erinnern uns daran, was auf dem Spiel steht – nicht im Großen, sondern im Persönlichen.
Beispiel: In Tschick ist Maik oft rational, unsicher und kontrolliert – Tschick hingegen ist das Herz der Geschichte, der die Dinge einfach macht und Maik aus seinem Schneckenhaus lockt.
Ein weiteres wichtiges Element: Deine Nebenfiguren sollten nicht nur für die Hauptfigur existieren.
Frage dich:
Wenn jede Figur in deinem Roman nur existiert, um dem Plot zu dienen, wirkt dein Text schnell flach. Aber sobald du deinen Figuren ein Eigenleben gibst, entsteht eine Welt, die man nicht mehr verlassen will.
Beispiel: In Der Club der roten Bänder haben alle Jugendlichen in der Klinik ihre eigenen Geschichten, Ängste und Träume – nicht nur der Protagonist Leo.
Es kann ganz schön einsam sein, die Hauptfigur zu sein. Ständig passiert etwas, ständig muss man Entscheidungen treffen. Ohne jemanden zum Reden landet man schnell im inneren Monolog – und der kann uns, die wir den Text dann lesen, ermüden.
Figuren wie Sidekicks, beste Freunde oder Mentoren helfen dabei, die Gedanken der Hauptfigur sichtbar zu machen – im Dialog, in Konflikten, in zärtlichen Momenten. Sie bringen neue Perspektiven ins Spiel und fordern heraus.
Beispiel: In Honig im Kopf ist die Beziehung zwischen Tilda und ihrem demenzkranken Großvater voller kleiner Dialoge, die berühren und helfen, Gefühle zu zeigen, ohne sie zu erklären.
Am schönsten sind die Beziehungen, in denen Gegensätze nebeneinander existieren:
Solche Beziehungen sind real. Und sie machen deine Geschichte glaubwürdig und vielschichtig.
Beispiel: In Tatortreiniger ist Schotty oft genervt von den Menschen, denen er begegnet – aber fast jede Begegnung rührt ihn auf irgendeine Weise, ob er will oder nicht.
Wenn du möchtest, dass deine Leser und Leserinnen mitfiebern, dann schenke ihnen Beziehungen, die wehtun, wärmen, nerven und wachsen dürfen.
Frage dich:
Gib deinen Figuren die Freiheit, mehr als eine Rolle zu spielen. Und lass sie in ihren Beziehungen wachsen – so wie wir es im echten Leben auch tun.
Nimm eine Szene, in der deine Hauptfigur allein ist – voller Zweifel oder Hoffnung.
Schreibe sie neu, aber diesmal mit einer Figur an ihrer Seite. Gib dieser Figur einen eigenen Standpunkt, eine Haltung. Beobachte, wie sich die Szene verändert:
Noch spannender: Lass die Begleitfigur Unrecht haben. Wie reagiert deine Hauptfigur? Muss sie sich zum ersten Mal erklären – laut, mit Emotionen?
Alltagsbeispiel: Du grübelst allein über einen Jobwechsel – deine Freundin hört sich das an, aber sagt plötzlich: „Du willst gar nicht wechseln, du willst nur, dass dein Chef dich endlich sieht.“ Zack – eine neue Perspektive. Genau solche Momente machen Szenen stark.
Nimm drei Nebenfiguren aus deinem aktuellen Projekt. Für jede:
Du wirst sehen: Deine Geschichte beginnt zu leuchten.