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Stell dir vor: Du bist mitten in einem dichten Wald. Der Anfang deines Romans war wie ein klarer Weg – du bist losgegangen, neugierig und motiviert. Aber je weiter du kamst, desto mehr Pfade taten sich auf. Abzweigungen, neue Ideen, überraschende Wendungen. Und jetzt? Jetzt stehst du da, mit einem Stapel Seiten in der Hand – und fragst dich: Wo wollte ich eigentlich hin?
Genau hier setzt die Kraft des erneuten Lesens ein. Denn bevor du dich in die Überarbeitung stürzt, kann es wahre Wunder wirken, dein Manuskript einmal komplett zu lesen – als wäre es ein fremdes Buch. Ohne Rotstift, ohne Druck, ohne den Zwang, gleich etwas zu verbessern. Einfach nur lesen. Und entdecken, wo du bereits Spuren gelegt hast. Wo deine Geschichte glänzt – und wo du nachjustieren darfst.
Heute zeige ich dir fünf starke Gründe, warum das Wiederlesen deiner Geschichte der wichtigste erste Schritt in der Überarbeitung ist. Und ich verspreche dir: Du wirst deine Geschichte mit neuen Augen sehen – und dich vielleicht sogar ein bisschen neu in sie verlieben.
Ein Roman ist kein statisches Konstrukt. Während du schreibst, verändert sich nicht nur dein Text – auch du entwickelst dich weiter. Deine Figuren bekommen neue Facetten, dein Plot neue Ideen. Das ist großartig – aber auch gefährlich. Denn diese Veränderungen führen oft zu Ungereimtheiten, die dir beim Schreiben gar nicht auffallen.
Vielleicht hatte deine Hauptfigur am Anfang Angst vor Hunden – und kuschelt sich am Ende ohne Erklärung an einen Bernhardiner. Oder dein Antagonist heißt erst Frederik, dann plötzlich Hendrik. Vielleicht verändert sich sogar der Ton der Geschichte unbemerkt: Was als melancholisches Kammerspiel begann, driftet gegen Ende ins Slapstickhafte ab.
Beim erneuten Lesen erkennst du solche Brüche. Du merkst: Ah, hier bin ich vom ursprünglichen Kurs abgewichen. Und du kannst bewusst entscheiden: Will ich das so lassen – oder zurückrudern? In einem Fall aus meinem Coaching fiel einer Autorin auf, dass ihre Nebenfigur Clara in Kapitel 2 eine Alleinerziehende war – und in Kapitel 15 plötzlich mit ihrem Mann in Urlaub fuhr. Kein Plotloch, sondern ein klassischer Denkfehler. Solche Dinge passieren. Aber nur, wenn du dein Manuskript mit frischem Blick liest, kannst du sie finden und ausgleichen.
Das einfache Noch-einmal-Lesen ist wie ein Röntgenblick für dein Manuskript. Du siehst nicht nur, was da ist – sondern auch, was nicht (mehr) zusammenpasst.
Die meisten Autoren glauben, sie wüssten, was in ihrem Manuskript steht. Aber zwischen dem, was wir schreiben wollten, und dem, was wir tatsächlich geschrieben haben, klafft oft eine erstaunlich große Lücke. Das Gehirn ergänzt, interpretiert, erinnert – und führt uns dabei manchmal ganz schön in die Irre.
Gerade, wenn dein Schreibprozess über Wochen oder Monate ging (oder über Jahre!), schleichen sich Gedächtnislücken ein. Szenen verschwimmen, Details gehen verloren. Beim Noch-einmal-Lesen bekommst du den klaren Blick zurück. Du siehst, was tatsächlich passiert – nicht, was du glaubst, dass passiert ist.
Ein großartiges Tool ist die sogenannte Szenenübersicht. Während du liest, notierst du: Was passiert in dieser Szene? Welche Figur steht im Fokus? Gibt es einen Wendepunkt, eine emotionale Bewegung, ein Thema? So entsteht eine Art Inhaltsverzeichnis deines Romans – und du erkennst sofort, wo Spannungsbögen funktionieren und wo du kürzen, straffen oder vertiefen darfst. Ich nutze dazu gerne Trello, auch weil es nachher so leicht ist, die Kacheln zu verschieben. Und es ist wunderbar visuell.
Ein Autor aus einem meiner 1:1-Coachings entdeckte beim Wiederlesen eine Szene, die er für belanglos gehalten hatte. Aber sie enthielt die perfekte Vorbereitung auf den großen Twist am Ende. Sie war wie ein verstecktes Osterei und bekam in der Überarbeitung den Platz, den sie verdient hatte.
Du hast beim Schreiben vielleicht improvisiert – beim Noch-einmal-Lesen kartografierst du dein eigenes Werk. Und genau das brauchst du, um später gezielt überarbeiten zu können.
Sein Manuskript zu überarbeiten, kann sich überwältigend anfühlen. Es gibt so viel zu beachten: die Dramaturgie, die Figurenentwicklung, die Sprache, die Logik, die Dialoge, das Thema, die Stimmung … Viele Schreibende wollen alles auf einmal verbessern – und bleiben dadurch ganz schnell stecken.
Das Noch-einmal-Lesen ist wie ein sanftes Ankommen. Du musst noch nichts verändern. Du darfst erst mal wieder eintauchen. So wie du bei einem Hausbesuch nicht gleich das Dach abdeckst, sondern erst mal durch alle Räume gehst und schaust, was da ist.
Beim Lesen wirst du trotzdem anfangen und kleine Dinge verändern – ganz automatisch. Ein überflüssiger Satz hier, ein schöneres Wort dort. Diese ersten Mini-Korrekturen sind wie ein Aufwärmen für die eigentliche Arbeit. Und sie helfen dir, wieder Vertrauen in deinen Text und dein Schreibhandwerk zu bekommen.
Ein Trick aus meiner Schreibpraxis: Ich nutze beim Noch-einmal-Lesen verschiedene farbige Post-its. Gelb für Strukturfragen, Blau für Figurenentwicklung, Grün für schöne Formulierungen, Rot für Probleme. So entsteht eine visuelle Landkarte meines Romans – und ich sehe auf einen Blick, wo die Hotspots liegen.
Das Noch-einmal-Lesen reduziert das Gefühl von Chaos. Du musst nicht gleich alles wissen oder können. Du darfst beobachten. Und aus dieser Beobachtung heraus gezielt handeln.
Nach der ersten Fassung sind viele Autoren und Autorinnen einfach nur müde. Manche mögen ihr Manuskript nicht mehr. Andere haben das Gefühl: Das ist doch alles Quatsch. Aber wenn du dein Buch ein paar Wochen liegen lässt – und es dann liest wie ein Leser, nicht wie ein Schöpfer –, passiert oft etwas Magisches.
Du lachst über deine eigenen Witze. Du bist überrascht von einem gelungenen Dialog. Du denkst: Hey, das ist eigentlich richtig gut. Und du spürst: Das hier will ich zu Ende bringen. Das hat Potenzial.
Diese Wiederverbindung ist wichtig. Denn sie schenkt dir die emotionale Energie, die du brauchst, um durch die Überarbeitung zu gehen. Du erkennst wieder, warum du diese Geschichte erzählen wolltest. Was dich berührt hat. Was dir wichtig ist.
Ein Autor in einem meiner Workshops hatte seine Geschichte fast gelöscht, weil er unsicher war, ob sie „gut genug“ sei. Beim Noch-einmal-Lesen merkte er: Die Stimme ist einzigartig. Die Figuren berühren. Er hat weitergearbeitet – und schließlich veröffentlicht. Heute bekommt er Leserpost, weil seine Geschichte „das Herz berührt“. Und das nur, weil er sich getraut hat, noch einmal hinzuschauen.
Deine Geschichte verdient deine Aufmerksamkeit. Und du verdienst das Gefühl, stolz auf das zu sein, was du geschaffen hast.
Jede Geschichte gibt ihren Lesenden (und dir selbst) ein Versprechen. Vielleicht ist es ein Versprechen auf Spannung, auf Heilung, auf eine romantische Entwicklung oder eine moralische Erkenntnis. Vielleicht ist es die Frage, die du ganz am Anfang aufwirfst: Wird sie den Mut finden, sich zu zeigen? Wird er sich versöhnen können?
Beim Schreiben verlieren wir dieses Versprechen manchmal aus dem Blick. Weil neue Ideen kommen. Weil Nebenhandlungen Raum einnehmen. Weil Figuren sich anders entwickeln. Das ist nicht schlimm – solange du am Ende weißt, welche Frage du wirklich beantwortet hast.
Beim Noch-einmal-Lesen erkennst du: Habe ich mein Anfangsversprechen gehalten? Habe ich das Thema durchgezogen? Oder habe ich etwas versprochen, was ich nicht eingelöst habe?
Eine Kundin, die ihren Text mit meinem Selbstlektoratskurs „Zauberfeder“ überarbeitet hat, hatte im ersten Kapitel ein eindrucksvolles Bild verwendet – eine zerbrochene Teetasse als Symbol für den Verlust. Beim Wiederlesen fiel ihr auf: Dieses Bild kam nie wieder. In der Überarbeitung brachte sie es zurück – und es wurde zu einem verbindenden Motiv, das sich durch den ganzen Roman zog.
Noch-einmal-Lesen ist auch ein Rückblick auf deinen Schreibweg. Du erkennst nicht nur, was du geschrieben hast – sondern auch, warum du es geschrieben hast.
Plane zwei intensive Lesetage ein – idealerweise hintereinander. Lies dein Manuskript wie einen Roman. Lass dich hineinfallen.
Halte beim Lesen diese Dinge fest:
Markiere auffällige Stellen mit Farben oder Symbolen. Aber bewerte nicht – beobachte. Dein Ziel ist nicht Perfektion, sondern Klarheit.
Danach kannst du eine Szenenübersicht erstellen oder eine Liste mit To-dos für deine nächste Überarbeitungsrunde.
Noch-einmal-Lesen ist kein Umweg – es ist der erste Schritt auf dem Weg zu einem starken, stimmigen Roman. Du lernst dein eigenes Werk besser kennen. Du verstehst, wo du bereits glänzt – und wo du noch schleifen darfst. Und du gibst dir selbst die Erlaubnis, in deinem Tempo zu wachsen.
Du bist nicht allein auf diesem Weg. Viele meiner Autoren und Autorinnen sagen nach der ersten Noch-einmal-Lesen-Runde: Ich hätte nicht gedacht, dass ich das geschrieben habe. Es ist besser, als ich dachte. Und genau deshalb lohnt es sich, hinzusehen. Mit Herz, mit Verstand – und mit dem Vertrauen, dass deine Geschichte es wert ist, erzählt zu werden.
Dann schau dir gern meinen Lektoratskurs „Zauberfeder“ an. In diesem Selbstlernkurs lernst du, wie du dein Manuskript Schritt für Schritt überarbeitest – mit professionellen Tools, klaren Fragen und viel Motivation. Du bekommst Einblick in Aufbau, Stil, Figurenentwicklung, Szenengestaltung und mehr. Dazu gibt’s Worksheets, Videos – und ganz viel Schreibmagie.
Hier findest du alle Infos zur Zauberfeder.
Du darfst wachsen. Und deine Geschichte auch.