Inhaltsübersicht
Wie du ein packendes Erlebnis für deine Leser schaffst.
Filter streichen heißt Sätze verbessern?
Absichtlich filtern, wann klappt’s?
Wie du ein packendes Erlebnis für deine Leser schaffst.
Die hohe Kunst des Schreibens ist es den Leser die Geschichte so erleben zu lassen, dass er sich mit den Charakteren identifizieren kann, mit ihnen fühlt und seine Realität die Buchwelt wird.
Um dies zu erreichen, müssen wir stets den Erzähltraum aufrechterhalten, das heißt, das Lesen transportiert den Leser auf die Seite und lässt ihn die Geschehnisse in unserer Story vor Ort miterleben.
Doch zu schnell rutschen Wörter in unsere Erzählung, die die Wahrnehmung filtern, indem sich der Autor dazwischenschaltet. Dann erlebt der Leser die Geschichte nicht mit, sondern sie wird ihm nur erzählt.
Dies verursacht eine Distanz zwischen Leser und Charakter, die den Leser daran erinnert, dass er nicht Teil der Geschichte ist.
Beispiele:
(gefiltert) Er sah die Sonne aufgehen.
(selbst erlebend) Die Sonne ging auf.
Das Wort ›sehen‹ ist vor allem in meinem aktuellen Projekt, das ich in einer neutralen Erzählperspektive schreibe (sehr gut, um ›Zeigen, statt beschreiben‹ zu üben), sehr oft vorhanden, weil es der einzige Sinn ist, den ich als unsichtbarer Beobachter von meinen Charakteren preisgeben kann, weil ich sehen kann, wohin sie blicken.
Natürlich ist genau das die Filterung des Erlebten, weil ich es durch die Sinne meiner Figur erlebe. Ich glaube, dass ich mich beim Verfassen des ersten Entwurfs von meinen Charakteren leiten ließ. Ich sah mit ihnen, und schrieb auch:
»Er sah die Flammen, die in einem Feuerball in die Höhe schlugen.«
Doch in der Revisionsphase kenne ich die Bilder, die meine Charaktere vor Augen haben. Jetzt ist es meine Aufgabe die verwendeten Filterwörter zu streichen, sodass sich durch die aktivere Erzählweise eine Videosequenz des Geschehens in den Köpfen der Leser bildet.
Die Flammen schlugen in einem Feuerball in die Höhe.
Abgesehen von den Sinnen kann auch das Denken ein Filter sein, sofern man den Leser darauf hinweist, dass der Charakter etwas bewusst wahrnimmt.
Er realisierte, dass es keinen Ausweg gab. Er musste ihn freilassen.
›Er realisierte‹ ist ein Filter. Mit diesen zwei Worten sagen wir als Autor dem Leser, was der Charakter denkt. Und genau das holpert vom Charakter, zum Autor und dann zum Leser. Filter schaffen eine psychische Distanz = der Leser ist nicht mittendrin im Geschehen.
Der Moment der Ausweglosigkeit war gekommen. Er musste ihn freilassen.
Jetzt besteht keine psychische Distanz zwischen dem Leser und dem Charakter, denn der Leser ist im Kopf des Charakters. Er weiß, was der Charakter denkt, fühlt, riecht, hört, sieht oder schmeckt, ohne es gesagt zu bekommen.
Definition: Filterwörter
Filtern bedeutet, dass du einen Charakter zwischen das Detail, auf das du hinweisen möchtest, und den Leser schaltest. Demnach schaltest du an den Anfang des Satzes ein Filterwort, dass darauf hinweist, dass das Geschehen durch die Sinne des Charakters gefiltert wird.
Er glaubte, sie würde ihm verzeihen.
Am besten, du löschst die Filterwörter, das ist der beste Ratschlag, den ich dir geben kann. Außer, ja, Ausnahmen gibt es auch hier, du schaffst Klarheit, dann haben sie sich den Platz verdient, ansonsten, raus damit.
Sie verzieh ihm nicht.
Filter der Wahrnehmung - Beispiele:
mit Filter | ohne Filter |
---|---|
Er beobachtete den Hund, wie er den Knochen verscharrte. | Der Hund verscharrte den Knochen. |
Sie fühlte sich traurig. | Sie ist traurig. (Vorsicht: schwacher Ausdruck) |
Er hörte ein Kreischen aus dem Flur. Es klang, als wäre Jane in Gefahr. | Ein Kreischen riss durch den Flur – Jane! Sie muss in Gefahr sein. |
Ich kann die Rauheit seiner Fingerspitzen auf meiner Haut spüren. Sie erinnern mich an Sandpapier. | Seine Fingerspitzen schliffen wie Sandpapier über meine Haut. |
Er schien wütend zu sein, mit diesen zusammengekniffenen Augen und dem roten Kopf. | Er kniff die Augen zusammen und die Röte brachte sein Gesicht zum Glühen. Er war wütend. (Achtung vor Dopplungen) |
Spürst du den Unterschied?
Filterwörter schleichen sich in deinen ersten Entwurf. Es ist so einfach, sie hinein zu schmuggeln, aber noch einfacher sie zu entdecken und wieder zu entfernen.
Liste von Filterwörtern
Hier eine Liste typischer Filterwörter, die an die Wahrnehmung geknüpft sind:
sehen
schauen
beobachten
erscheinen
hören
schmecken
denken
Sich fragen
sich entscheiden
wissen
bemerken
realisieren
auffallen
fühlen
berühren
anhören wie
in der Lage sein
Wie sieht es bei dir aus?
Hast du noch Filterwörter, die ich in meiner Liste ergänzen kann, die du in deinem Entwurf oder in veröffentlichten Büchern gefunden hast? Sind sie absichtlich positioniert, oder ist der Filter dem Autor ins Skript gerutscht?
Filter streichen heißt Sätze verbessern?
Bedenke, Erzähltiefe schaffst du, in dem du dich nicht nur darauf konzentrierst, was dein Charakter sieht, hört, fühlt oder macht, sondern wie seine Umgebung auf ihn einwirkt, und wie er auf sie reagiert.
Überlege immer, auf welche Aktion du den Fokus legen möchtest, um dem Leser zu zeigen, was passiert, ohne es ihm zu sagen.
Das heißt, Filter herausstreichen verbessert zwar die Intimität zu dem Geschehen in deiner Geschichte, aber manchmal musst du die Sätze zusätzlich noch umschreiben, sodass der Leser glaubt, mitten im Geschehen zu stehen, als es nur mit Sicherheitsabstand zu beobachten.
Beispiel:
Auf der Bühne hörte Marie das Publikum jubeln. Sie sah zu der Jury und fragte sich, wie sie ihren Auftritt bewerten würden. Sie schmeckte den Schweiß auf ihren Lippen und spürte das Kratzen in ihrem Hals. Sie wusste nicht, ob sie eine Zugabe geben könnte, doch sie ahnte, dass sie keine Wahl haben würde. Sie beobachtete, wie die Jury miteinander tuschelte und sie glaubte, versagt zu haben. Sie weinte.
Um in die Geschichte einzutauchen, verzichte auf Wörter, die die Wahrnehmung herausfiltern und den Leser konstant daran erinnern, dass er von außen auf das Geschehen blickt. Nur so schaffst du Intimität, nur so, fühlt sich der Leser wie Marie, weil er glaubt, selbst von der Jury bewertet zu werden:
Das Publikum jubelte. Auf der Bühne stand Marie der Jury gegenüber und wartete auf ihre Bewertung. Schweißtropfen rannen zu ihren Lippen herab und ihr Hals schmerzte. Ihr Körper zitterte, aber sie musste durchhalten. Die Jury lehnte sich zueinander, leise tuschelnd und gelegentlich sie mit einer gehobenen Augenbraue musternd. Sie schluckte und die Tränen perlten ihre Wange hinab.
Absichtlich filtern, wann klappt’s?
Filtern schafft Distanz zwischen Leser und Charakter, weil der Erzähler darauf hinweist, was der Charakter durch welchen Sinn erlebt.
Manchmal braucht man diesen Abstand, manchmal muss der Leser wissen, dass der Charakter sieht, hört oder sich wundert.
Ich höre seine Fragen, aber ich finde keine Antworten.
(Der Filter ist wichtig, um die Bedeutung der Aussage zu verstehen.)
Ich sitze auf der Treppe, an dem Platz, wo ich sie das erste Mal traf, und frage mich ... warum will sie ihr Leben mit diesem Idioten verbringen?
(Der Filter muss nicht sein, aber er gibt in diesem Fall einen visuellen Touch.)
Ich spüre den Atem des Windes, der vom Fenster über meine nackte Haut weht. Es ist die einzige Berührung, die mir in diesem Kerker bleibt.
(Der Filter gehört zur Geschichte, denn wir müssen wissen, dass der Charakter in dieser Situation noch etwas fühlt.)
Aufgabe: Filter der Wahrnehmung
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, die gefilterte Wahrnehmung durch die Fokussierung auf das Geschehen zu umschreiben.
Nimm dir eine Szene zur Hand, die du vor einem Tag oder länger geschrieben hast, und überprüfe, ob du die Welt durch die Augen des Charakters siehst oder die Geschichte über die gefilterten Sinne erlebst.
Du wirst sehen, dass der Erzählfluss lebendiger wird, sobald du die ersten Absätze korrigiert hast. Ab sofort wirst du in die Handlung hineintauchen, weil das Drumherum direkt angesprochen, statt gefiltert wird.