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300 Millionen.
Eine unfassbare Zahl. Und wahrscheinlich ist sie sogar noch höher.
Jetzt fragst du dich sicher: 300 Millionen von was, Eva?
Ja, von was? Ich rede von verkauften Büchern. John Grisham hat weltweit über 300 Millionen Bücher verkauft(Stand 2022). Er ist einer der meistverkauften Autoren der Gegenwart und wird überall auf der Welt gelesen.
Sein erstes Buch „Die Jury“ erschien 1989. Das war sein Durchbruch. Danach ging es Schlag auf Schlag. John Grisham hat einen Bestseller nach den anderen geschrieben. Fast minutiös produziert er seine Romane.
Und was noch besser ist: Die Bucher verkaufen sich auch. Sie verstauben weder in den Buchhandlungen noch im Regal daheim.
Das fragt man sich doch: Was ist sein Geheimnis?
Wie schafft er es, immer wieder seine Leser zu begeistern? Immer wieder neue Bücher auf den Markt zu werfen?
Er selbst hat einmal in einem Interview gesagt: Ich fange immer mit dem Ende der Geschichte an.
Sein Tipp ist: Du musst vor dem Schreiben wissen, wie deine Geschichte ausgehen soll. Du weißt, wohin die Reise geht und umgehst so Geschwafel.
Überleg mal: Der Resonanzeffekt sagt, dass man sich an das Ende eines Film besser erinnert, als an die Mitte oder den Anfang, weil das Ende zeitlich näher liegt. Wenn also dein Ende genial ist, dann ist die Geschichte, dein Buch, unvergesslich. Trotzdem braucht man aber noch die Wendepunkte und den Midtpoint.
Spannung muss steigen, und es muss etwas auf dem Spiel stehen, damit der Leser Lust hat, weiterzulesen.
Darum: Einsätze – das, was für deinen Protagonisten oder deine Protagonistin auf dem Spiel steht - sind für jede Geschichte wichtig. Sie sorgen für den Adrenalinkick. Wenn nichts auf dem Spiel steht, lohnt es sich nicht weiterzulesen. Warum sollten sich die Lesenden ohne Einsatz dafür interessieren, was passiert? Oder weiterblättern?
Ich verspreche dir nicht, dass du auch 300 Millionen Bücher verkaufst, aber ich verrate dir, wo drei Problemzonen beim Geschichtenerzählen auftreten. Und wie bei einem Lifting kannst du deinem Text dann auch diese gesundheitsfördernde Maßnahme schenken.
Wenn Spannung mau ist, dann fehlen Ziele, Konflikte oder Einsätze. Es gibt einen Grund, warum diese drei Dinge die heilige Dreifaltigkeit des guten Erzählens sind. Sie funktionieren am besten, wenn sie ausgewogen sind und die Geschichte wie ein dreibeiniger Schemel tragen. Wenn du nur ein Bein schwächst, bricht der Hocker (und die Geschichte) zusammen.
Ziele treiben die Handlung voran. Konflikte sorgen für Spannung, aber der Einsatz sorgt dafür, dass die Lesenden emotional in die Geschichte investieren. Der Einsatz sorgt dafür, dass sie mit den Figuren und ihren Träumen mitfühlen und sich Sorgen machen, dass sie ihre Probleme nicht überwinden und Erfolg haben werden.
Und mal ganz ehrlich: Es ist nicht wichtig, ob es sich um eine kleine Note in einem Test für Peter in der 3. Klasse handelt oder um das Schicksal der Welt in einem Actionthriller geht: Die Risiken und Konsequenzen der Handlungen der Figuren beeinflussen, wie sehr sich deine Leser in deiner Geschichte engagieren.
Aber manchmal sind wir so sehr mit dem „Was“ und „Wie“ der Geschichte beschäftigt, dass wir das „Warum“ vergessen.
Einen Roman mit einem sehr hohen Einsatz zu beginnen, scheint eine gute Idee zu sein, oder? Er beginnt mit Action und Figuren sind in Gefahr und sagt: „Seht, wie wichtig das ist! Hier ist ordentlich was los!“
Aber wenn du zu hoch pokerst und so anfängst, kann der Einsatz nirgendwo hinführen. Du kannst die Spannung nicht erhöhen und die Lesenden nicht dazu bringen, mehr Angst um die Figuren zu haben, weil sie schon so besorgt sind, wie es nur geht.
Wenn Peters Leben von der ersten Seite an in Gefahr ist, spielt es keine Rolle mehr, ob er von einer Klippe stürzt oder von Zombies gefressen wird. Die Folgen seines Handelns sind die gleichen, und er hat nichts mehr zu verlieren.
Auf dieses Problem bin ich letztens bei einem Coaching gestoßen. Die Autorin zeigte schon auf der ersten Seite, das Schlimmste, das passieren konnte. Obwohl die Geschichte viel Action enthielt, hatte ich das Gefühl, dass die Lesenden nur darauf warteten, dass das auf der ersten Seite versprochene Schlimme eintrat. Die Situation der Protagonistin war schlimm. Das Problem war nur: Sie wurde nie schlimmer. Die Spannung des Anfangs verpuffte. Das nahm der Erzählung viel vom erzählerischen Schwung und ließ die Geschichte statisch wirken.
Also haben wir einen Schritt zurück gemacht. Die Autorin hat ihr erstes Kapitel umgeschrieben und lässt es jetzt nicht mit dem Drama beginnen, das bereits feststeht, sondern hat Hindernissen eingebaut, mit denen die Protagonistin nun umgehen muss. Sie stößt jetzt schon früh auf diese Hindernisse, die immer schlimmer werden und sie steuert langsam auf das große Böse - dem Finale zu, das auf sie wartet.
Joy Fielding hat in ihrem Thriller „Blind Date“ auch mit dem Ende angefangen. Hier bereitet ein Serienmörder ein romantisches Dinner vor und wartet auf sein nächstes Opfer. Danach fängt die Geschichte an. Der Lesende hat jetzt Angst, wer das nächste Opfer sein wird – und gerät in den Sog der Geschichte und dieser Sog nimmt immer mehr zu, je näher sich Täter und Protagonistin kommen.
Der Unterschied hier war: Ich konnte mir vorstellen, wie die Geschichte ausgehen könnte, aber ich wusste es noch nicht. Das hat die Spannung erhalten. Merkst du den Unterschied?
Das Hauptproblem, wenn man mit zu hohen Einsätzen beginnt, ist, dass sie nicht eskalieren können. Aber gerade die Eskalation der Einsätze trägt dazu bei, Spannung zu erzeugen und die Geschichte auf den Höhepunkt zu bringen.
Die Dinge müssen immer schlimmer werden. Das Problem muss größer oder persönlicher werden, und es sollte immer mehr zu verlieren geben.
Am Ende eines Kapitels findest du in der Regel einen „falschen Einsatz“. Du weißt, dass du ein Kapitel mit einem Cliffhanger beenden musst, und die Hauptfigur in eine schwierige Lage zu bringen, ist normalerweise eine gute Idee. Aber wenn das, was auf dem Spiel steht, in jedem Kapitel das Gleiche ist, wird die Geschichte flacher. Sicher, die Dinge gehen schief, aber es wird nie schlimmer.
Schau dir an, wie deine Kapitel enden. „Sie schafft es nicht zum Ausgang“ und „Sie ist in dem Raum gefangen“sind das gleiche Problem und könnten darauf hindeuten, dass dein Einsatz nicht eskaliert, auch wenn die Dinge immer noch schieflaufen.
So verrückt es klingt, du kannst den Einsatz auch zu hoch ansetzen. Das Schicksal von Milliarden von Menschen ist für Lesende schwer zu begreifen, sodass es sich nicht persönlich genug anfühlt, um sich wirklich Sorgen zu machen. Liegt dir das Schicksal von Mittelerde wirklich am Herzen, oder machst du dir mehr Sorgen um die beiden kleinen Hobbits?
Wenn der Einsatz zu groß ist, finde einen Weg, ihn auf eine persönliche Ebene für deinen Protagonisten zu bringen.
In dem Film The Core gibt es eine großartige Szene, in der die Pilotin (Hilary Swank) erklärt, wie schwer sie es hat, denn wie soll sie es schaffen, die ganze Welt zu retten. Einer der Wissenschaftler (Tcheky Karyo) sagt, dass er nicht versucht, die ganze Welt zu retten. Das ist einfach zu groß. Er holt ein Bild seiner Familie hervor und sagt: "Ich versuche nur, drei von ihnen zu retten.
Wow!
Plötzlich wird das, was auf dem Spiel steht, zu etwas, das wir alle nachempfinden und verstehen können. Du riskierst dein Leben, um die Menschen zu retten, die du liebst. Deine Familie. Deine Frau und deine Töchter.Deine Söhne.
Du fühlst mehr mit der Figur mit, weil sie ein so persönliches Interesse an dieser Situation hat.
Das Geniale daran ist, dass dir die Rettung der Welt immer noch egal ist, weil du weißt, dass sie das tun werden. Normalerweise haben Geschichten ein Happy End, vor allem in Filmen wie The Core, aber jetzt fühlst du dich mit dem Wissenschaftler verbunden und weißt, dass er vielleicht nicht überlebt und zu seiner Familie zurückkehren kann. Ein kleinerer Fokus macht den Einsatz höher.
Tja, was soll ich sagen? In den allermeisten Geschichten ist das Ende keine Überraschung.
Der Mörder wird gefasst, das Mädchen wird gerettet, die Welt wird gerettet. Auch das hat Joy Fielding anders gelöst in Blind Date. Denn es gibt einen Mord, aber das Opfer … Lies das Buch. Ich möchte hier nicht spoilern.
Einsätze, die sich nur auf den Aspekt des Gewinnens oder Verlierens konzentrieren, sind schwach, denn niemand glaubt wirklich, dass die Hauptfigur verlieren wird. Aber sie glauben, dass der Protagonist oder die Protagonistin einen hohen Preis für den Sieg zahlen muss.
Das hält die Leserinnen und Leser bei der Stange, denn du kannst den Preis immer höher und die Folgen der Zahlung immer schlimmer machen. Je mehr sie sich sorgen, desto mehr werden sie sich Sorgen machen.
Überprüfe deine Einsätze, besonders an den wichtigen Wendepunkten der Handlung. Machst du einen dieser Fehler? Wenn ja, wie könntest du sie beheben? Wie sehr bedenkst du, was in deiner Geschichte auf dem Spiel steht?
Eva Maria Nielsen ist Story-Grid-Lektorin, Autorencoach und gehört zum Team des Bookerfly Clubs. Wenn sie nicht gerade Romane schreibt, unterrichtet und coacht sie andere Autorinnen und Autoren, wie sie ihr Handwerk verbessern können. Sie ist die Gründerin des Bookerfly Buchclubs für Autoren. Du kannst sie regelmäßig auf dem Bookerfly Podcast hören - zusammen mit ihren wunderbaren Kolleginnen. Erhältst du schon den Newsletter? Wenn nicht, dann geht es hier entlang.