Der Artikel ist Teil der Erkenntnisse des Story Grid.
© Story Grid, Shawn Coyne
So oft hört man von Show, don’t Tell (Zeigen nicht beschreiben). Aber ehrlich, es geht nicht darum, dass wir aufhören, irgendetwas dem Leser zu schildern, ein paar mehr Sinneseindrücke zu schreiben oder dem Leser irgendeine Handlung miterleben zu lassen. Zeigen bezieht sich vor allem darauf, dass wir mit Behauptungen aufhören.
›Er war ein Mann, gerecht und nett, der nie seine Kinder schlug. Die Bewohner des Dorfes liebten ihn für seinen Charme, Witz und die ermutigenden Worte, die er so gekonnt in jeder Situation fand.‹
Toll, kennen wir diesen Mann jetzt wirklich? Vertrauen wir ihm?
Sache ist, jede Person kann alles von sich selbst oder von anderen behaupten. Auch der Erzähler einer Geschichte kann mit den schönsten Worten seine Figuren beschreiben.
Aber worauf kommt es wirklich an?
In diesem Artikel zeige ich dir, wie du deinen Lesern den Charakter deiner Figuren zeigen kannst, ohne, dass du es behaupten musst.
Inhalt
- Die fünf Bestandteile von Geschichten
- Was ist der Höhepunkt?
- Der Wandel zwischen Anfang und Ende in einer Geschichte
- Die Entwicklung einer Figur im Zusammenhang mit den Krisen, in denen sie sich befindet
- Warum müssen sich die Höhepunkte in ihren Komplikationen steigern?
Die fünf Bestandteile von Geschichten
Um etwas dem Leser zu zeigen, sollten wir uns an die fünf Bestandteile jeder Einheit einer Geschichte halten. So zeigen wir dem Leser automatisch, wer unsere fiktiven Figuren wirklich sind.
Klingt kompliziert? Welche fünf Bestandteile?
In kurz, jede Einheit von Geschichten besteht aus fünf Elementen, damit jede Einheit funktionieren kann. Ich habe bereits ein oder mehrere Beiträge zu den einzelnen Elementen verfasst und verlinke sie hier. Es ist gleichzeitig die Reihenfolge der Elemente, die Szene, Sequenz, Akt oder globale Geschichte ausmachen:
- auslösendes Ereignis
- steigende Komplikationen und Wendepunkt
- Krise (Frage)
- Höhepunkt (Entscheidung)
- Auflösung
Der Höhepunkt ist die Antwort auf die Frage in einer Krise.
Eine Krise stellt immer eine Frage dar. Die Krise ist demnach für eine Figur die Entscheidung zwischen der besten, schlechtesten Wahl (Was ist das geringere Übel von zwei schlechten Optionen?) ODER zwischen zwei positiven Optionen, die sich nicht miteinander kombinieren lassen (Was gut für mich ist, muss nicht gleichzeitig gut für den anderen sein.)
Die Entscheidung, welche wir in einer Krise treffen, zeigt unseren wahren Charakter.
Am einfachsten ist es, wenn du die Szenen deiner Geschichte schreibst, und darauf achtest, dass sich dein Protagonist in jeder Szene in einem kleinen oder größeren Dilemma befindet.
Der Höhepunkt der Szene zeigt dann, den wahren Charakter deiner Hauptfigur:
Im Höhepunkt setzt die Figur die Entscheidung um, die sie als Antwort auf die Frage in der Krise getroffen hat.
Und wie ein jeder von uns weiß, nur unsere Entscheidungen und unsere Aktionen verraten, wer wir wirklich sind. Es kann sein, dass wir uns für XXX entschieden haben, aber wenn der Moment der Wahrheit kommt, passiert es oft, dass wir statt XXX am Ende nur ZZZ tun.
Ich denke, jeder von uns hat Bekannte, die ihren Worten keine Taten folgen lassen. Es ist sogar oft so, dass sie uns irgendetwas einreden, und sagen, dass sie uns unterstützen und für uns einstehen, aber wenn es so weit ist, machen sie einen Rückzieher.
Dieser Moment ist die Wahl, die unsere Bekannte in ihrer Krise getroffen hat. Ihr Nichtstun zeigt ihren Charakter. Wenn sie stumm bleibt, sagt uns das, dass diese Person in einer Gruppe verängstigt und feige ist. Dieser Moment der Wahrheit verändert unsere Auffassung dieser Person und wir werden sie fortan als eine andere Person wahrnehmen.
Der Höhepunkt ist immer die aktive Antwort auf die Frage, die sich in der Krise ergeben hat.
Tipp: Wenn dein Protagonist eine Entscheidung auf die Frage der Krise trifft, dann gehört seine Entscheidung in die Szene.
Der Leser muss den Höhepunkt miterleben. Die Entscheidung darf nicht einfach von einer anderen Figur berichtet werden, denn die Wahl des Protagonisten ist der entscheidende Moment der Wahrheit, den der Leser braucht oder er fühlt sich dessen beraubt. Als Autor musst du Szene für Szene abliefern können, und der Leser muss dabei sein dürfen, wenn deine Figuren in ihrem Dilemma stecken und sich für eine Option entscheiden müssen.
Tipp: Unterstützende Figuren dürfen Entscheidungen auch im Hintergrund treffen, wo der Leser nicht aktiv dabei ist und diese Aktionen dem Leser später berichtet werden. Aber alle Entscheidungen und Aktionen deines Protagonisten gehören auf die Seite.
»Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.«
Original: »History doesn’t repeat itself but it often rhymes.« Mark Twain
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf:
Vergleiche den Anfang und das Ende deiner Geschichte.
An beiden Punkten sollte dein Protagonist einer großen und lebensveränderten Krise gegenüberstehen. Und weißt du was? Die Entscheidung, für die sich dein Protagonist am Anfang entschieden hat, sollte in der Krise am Ende die andere Option sein.
Was meine ich damit?
Hat Maximus (Russell Crowe) aus dem Film Gladiator sich am Anfang der Geschichte dazu entschieden, der Bitte von Marcus Aurelius nachzukommen und Rom dem Volk zurückzugeben (=Kaisertum abschaffen und die Republik wiederherstellen)?
Natürlich nicht.
Maximus hat als Feldherr der nördlichen Provinzen so viele Kämpfe ausgetragen, dass er einfach nur noch nach Hause und zurück zu seiner Familie will. Am Ende der Geschichte entscheidet sich Maximus dazu, dass er trotz Verletzung den Kampf gegen den Kaiser Commodus aufnimmt. Maximus steht jetzt für den toten Marcus Aurelius ein und versucht alles, dessen Bitte vom Anfang zu erfüllen. Maximus besiegt Commodus und hält dann noch so lange an seinem Leben fest, bis er Rom dem Senat übergeben kann.
All das, was zwischen Anfang und Ende geschieht, sind die steigenden Komplikationen von Krisen und Höhepunkten in Maximus Leben, die ihn dazu bringen, seine Sicht auf die Dinge zu ändern.
Die Entwicklung einer Figur im Zusammenhang mit den Krisen, in denen sie sich befindet
Wahrscheinlich hast du schon oft gehört, dass sich dein Protagonist im Verlauf der Geschichte entwickeln muss.
Das bedeutet, dass deine Hauptfigur nicht dieselbe Person bleiben kann, die sie am Anfang der Geschichte war.
Der gesamte Verlauf der Geschichte prägt deinen Protagonisten und er gelangt zu einer Erkenntnis, die seine Weltansicht verändert ... mit diesem Wandel in seiner Weltansicht wird er am Ende andere Entscheidungen treffen als am Anfang.
Die internen Genres wie Status, Weltanschauung und Moral sind die Genres, die eine Figur von einem Anfangspunkt zu einem anderen Punkt am Ende bringen. Und der große Höhepunkt der Geschichte liefert die Erleichterung, die einer solchen Reise innewohnt.
[Erleichterung bezieht sich hier auf den großen Moment, wo das Publikum aufatmen kann. Dieses Aufatmen ist eine überwältigende emotionale Reaktion deiner Leser (Weinen, Lachen, Fluchen) ... eine Erfahrung, die der Leser bei jeder Geschichte haben möchte.]
Natürlich braucht nicht jeder Protagonist eine Entwicklung. Vor allen in den externen Genres wie Horror, Krimi oder Action, in denen es ums blanke Überleben geht, bedarf es keiner inneren Entwicklung der Figur.
Mark Watney interessiert nur, wie er auf dem Mars überleben kann. Sherlock Holmes folgt den Hinweisen, um einen Verbrecher zu überführen, und James Bond erfüllt seine Mission. In diesen Genres ist so viel Action enthalten sowie der große Kampf ums Überleben, dass sich die Figur nicht entwickeln muss; sie versucht nur, am Leben zu bleiben.
Aber in den anderen Genres, wie Liebesgeschichten, Thriller, Perfomance, Gesellschaft ... braucht man die Entwicklung der Figur, weil diese Entwicklung essentiell für den Ausgang der Geschichte ist.
Warum müssen sich die Höhepunkte in ihren Komplikationen steigern?
Beispiel: Gladiator
Um diesen Punkt zu verstehen, bleiben wir am Beispiel von Gladiator und schauen uns einige der Höhepunkte an, die der Protagonist Maximus im Laufe des Films erleben musste.
Die Krise in einer der ersten Filmszenen ist eine Entscheidung zwischen zwei positiven Optionen, die sich nicht miteinander kombinieren lassen.
Maximus erhält die Möglichkeit, dass er der Nachfolger von Marcus Aurelius werden kann und solange herrschen soll, bis der Senat handeln kann und Rom wieder eine Republik ist. Andererseits möchte Maximus nur wieder zurück zu seiner Familie und endlich nach Hause. Die erste Option wäre gut für Rom, aber nicht gut für Maximus und seine Familie, während die zweite Option gut für Maximus und seine Familie ist, aber nicht gut für Rom.
Der Höhepunkt der Szene ist, wenn Maximus das Angebot von Aurelius ablehnt.
Diese aktive Entscheidung von Maximus zeigt dem Zuschauer, dass er an Politik nicht interessiert ist und dass er genug von all den Kämpfen hat. Es ist kein großer Höhepunkt der Geschichte, aber ausreichend, dass man den Film weiterschauen möchte, um zu sehen, welche Konsequenzen diese Entscheidung mit sich bringen.
Nur ein paar Szenen später ist Marcus Aurelius tot. Commodus hat seinen Vater ermordet, nach dem Aurelius ihm verkündete, dass Commodus nicht sein Nachfolger werden würde. Commodus gibt den Tod seines Vaters aus, als wäre er unter natürlichen Ursachen gestorben, und erhebt sich selbst zum römischen Kaiser. Maximus verweigert Commodus die Gefolgschaft, weil er glaubt, dass Commodus mit der Ermorderung seines Vaters einen Verrat am römischen Volk begangen hat.
Diese Entscheidung von Maximus, dass er Commodus nicht folgt, ist eine beste, schlechteste Wahl. Ein Übel wäre, dass er Commodus dient und dafür seine ehrenhaften Prinzipien aufgibt, während das andere Übel ist, dass er dem Urteil Commodus ausgeliefert ist, der selbst mit dem Todesurteil über Maximus Leben bestimmen kann.
Der Höhepunkt in dieser Szene ist also größer als der von dem vorangegangen Beispiel. Es steht mehr auf dem Spiel. Die Konsequenz von Maximus’ Entscheidung ist das Todesurteil für sich und seine Familie. Er überlebt zwar, aber seine Frau und sein Sohn werden ermordet.
Hier ist das Schöne: Maximus wird nie von einer anderen Figur als eine Person beschrieben, die an ihren Prinzipien festhält. Aber durch die aktiven Entscheidungen von Maximus erkennt der Zuschauer den edlen und ehrenhaften Charakter von Maximus an.
Wenn du mehr über das Gladiator oder das Status-Genre erfahren möchtest, kannst du hier weiterlesen:
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