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Wer mit mir arbeitet, weiß, dass ich sehr viel Wert auf die Charaktere lege. Sie sind für mich das Herz der Geschichte. Erst schaffen wir gemeinsam die Figuren und diese tauchen ein in eine spannende Geschichte. Sie treiben die Handlung voran. Darum ist es so wichtig, dass du deine Charaktere kennst. Vieles, was du über sie weißt, wirst du nie im Roman erwähnen. Es ist genauso unsichtbar, wie die enorme Menge des Eisbergs unter dem Wasser. Oder unser Unterbewusstes, das uns auch beeinflusst. Du musst aber diese Masse an Information haben, um eine glaubwürdige Handlung aufs Papier zu bringen.
Fragst du dich manchmal, wie du solche Figuren schaffen kannst? Und wie du es anstellst, dass die verschiedenen Charaktere sich voneinander abheben?
Heute zeige ich dir meine Lieblingsstrategien, um Charaktere zu schaffen, die deinem Leser im Gedächtnis bleiben. Genauer gesagt, zeige ich dir 10 verschiedene Möglichkeiten, die du nutzen kannst, damit jede deiner Figuren heraussticht. Ich nenne sie Angelhaken, denn mit diesen charakterlichen Tipps fängst du einen Leser und bindest in an deinen Text. Lass uns also angeln gehen …
Ich sehe so eine Eigenschaft, einen Tick oder Familienkonstellation als Angelhaken, mit dem du den Leser fängst und durch deine spannenden und unvergesslichen Figuren in die Geschichte hineinziehst. So wie der Fischer den Fisch an Land holt. Du musst den Leser so sehr am Haken haben, dass er Lust hat, seine reale Welt für eine Zeit zu verlassen, um dir und deinen Figuren in die fiktive Welt zu folgen. Und das geschieht über die Figuren.
So ein Haken kann ein Persönlichkeitsmerkmal oder eine physische Eigenschaften sein, die deine Figur auszeichnet und sie von allen anderen unterscheiden. Wenn dir das gelingt, wird dein Leser – vor allem am Anfang der Geschichte – sich leichter in der Welt deines Romans bewegen können. All diese kleinen Angelhaken, die ich dir jetzt verrate helfen ihm, sich zu erinnern, wer wer in der Geschichte ist.
Schauen wir uns zehn Beispiele an und wie sie in verschiedenen Büchern auftauchen.
Gib deiner Figur einen Akzent. Lass sie auf besondere Art sprechen, z. Bsp. wie Meister Yoda in Star Wars, der immer lustige Sätze sagt. Yoda tendiert ja dazu, seine Sätze in der Reihenfolge von Subjekt-Objekt-Verb zu bilden, satt wie wir es machen, indem wir Subjekt-Verb-Objekt aneinander reihen. Da entstehen dann so bezaubernde Sätze wie: „Bleiben und dir helfen, ich werde.“ (Off Topic: Ich als deine Lektorin bleibe übrigens auch an deiner Seite während des Schreibprozesses und werde dir helfen!)
Je nachdem, woher deine Figur kommt oder welchen Bildungsstand sie hat, kann sie einen Akzent haben, ganz bestimmte Ausdrücke verwenden oder sogar eine Art regionalen Slang.
Betrachte zum Beispiel die Art und Weise, wie Hagrid spricht und wie Professor McGonagall redet. Hagrid hat einen Akzent aus dem Hinterland, der seine Erziehung und seine Herkunft widerspiegelt. Professor McGonagall redet eher knappe und direkte. Sie spricht auch sehr korrekt und scheint so sehr gebildet zu sein.
Dies sind nur drei Beispiele dafür, wie ein Akzent oder eine bestimmte Art zu sprechen dazu beitragen kann, dass dein Leser deine Figuren als einzigartig erlebt und sie voneinander unterscheiden kann.
Anstatt jeden einzelnen Aspekt des Aussehens einer Figur zu beschreiben, wähle ein oder zwei körperliche Merkmale, die besonders einzigartig sind, um sie hervorzuheben.
Zum Beispiel kann fast jeder in der Zaubererwelt Harry Potter an seiner blitzförmigen Narbe erkennen. Harrys Narbe ist sein einzigartiges und unverwechselbares Merkmal.
Auch in der Kinderbuchreihe „Mission Hollerkamp“ haben alle ihre unverwechselbaren Merkmale. Mir gefällt Jakub, weil er ein Hörgerät trägt und ab und zu mal vergisst, Ersatzbatterien mitzunehmen.
Unverwechselbare körperliche Merkmale sind viel aussagekräftiger als die Beschreibung jedes kleinen Details. Dein Leser füllt die „Luft“ in deinem Text gern mit seinen eigenen Gedanken aus. Schenke der Fantasie deines Lesers Raum, lass ihn die Lücken im Text durch seine Vorstellungskraft füllen. Wichtiger als volle Lippen und Mandelaugen sind körperlichen Merkmale wie Schwerhörigkeit, denn sie fordern deine Person auf ganz besondere Weise heraus.
Die dritte Art von "Haken", die du deiner Figur geben kannst, hat mit ihrer Körpersprache und ihren Eigenheiten zu tun. Die physische Erscheinung einer Figur ist mehr als nur ihr Aussehen. Es geht auch darum, wie er oder sie sich bewegt und mit der Welt interagiert. Und genau wie im wirklichen Leben kann die Körpersprache einer Person viel darüber aussagen, was sie denkt und fühlt.
Neville Longbottom aus Harry Potter ist vergesslich und unbeholfen. Sein Verhalten zeigt, wie wenig Selbstvertrauen er hat. Draco Malfoy ist anders, er trägt ein ständiges Grinsen zur Schau und zeigt mit seiner überheblichen Art: alle anderen sind unter seiner Würde.
Dies ist also nicht nur eine großartige Möglichkeit, deine Charaktere voneinander zu unterscheiden, sondern so kannst du auch, einen Einblick in die Persönlichkeit deines Charakters zu geben.
Hast du schon einmal daran gedacht, deiner Figur ein menschliches oder tierisches Gegenstück zu geben? Mit anderen Worten, es handelt sich um eine Person oder ein Tier, das immer bei deiner Figur ist. Oder jemand, ohne den sich der Leser deine Figur nicht vorstellen kann.
Zum Beispiel ist Crookshanks das tierische Gegenstück von Hermine. Neville hat seine Kröte Trevor, und Harry hat seine Eule Hedwig. Was die menschlichen Gegenstücke anbelangt, so haben Fred und George Weasley einander. Sie sind immer zusammen und haben ähnliche Persönlichkeiten und Interessen. Das Gleiche gilt für Padma und Parvati Patil. Auch wenn sie in verschiedenen Häusern wohnen, sieht man sie meistens zusammen.
Überleg einfach mal, ob du deiner Figur ein menschliches oder tierisches Gegenstück geben willst, um sie von den anderen Figuren abzuheben. Dies ist auch eine gute Möglichkeit, einen Einblick in die Persönlichkeit oder die Vorlieben deiner Figur zu geben.
Das ist wichtig, denn im wirklichen Leben sind keine zwei Menschen gleich, oder?
Nehmen wir zum Beispiel Emily aus der Hollerbande, die immer eine Latzhose und Armreifen als Erkennungszeichen trägt. Warum die Latzhose? Nun, sie arbeitet gern mit Werkzeug und braucht Platz für viel Krimskrams und für ihr Handy.
Auch Josefine in meinem Buch „Auf Wiedersehen, kleiner Bruder“ ist einzigartig. Sie ist unerschrocken und hat keine Angst, auch mal die starken Jungen zu vermöbeln.
Oder Gilderoy Lockhart, der sich für den attraktivsten, begabtesten und wunderbarsten Zauberer hält, der je gelebt hat. Man würde ihn nicht mit jemandem wie Professor Lupin verwechseln. Lupin ist bescheidener und neigt dazu, sich aus dem Rampenlicht herauszuhalten. Und nicht nur das: Professor Lockhart spielt Tapferkeit vor, während Professor Lupin tatsächlich mutig ist.
Für reale Figuren brauchst du eine gute Balance von Stärken und Schwächen. Die besten Romanfiguren haben eine gute Mischung aus Stärken und Schwächen. Genauso wie wir Menschen im realen Leben. Wir haben alle gute und schlechte Seiten. Wenn du diese Balance einhältst, werden deine Figuren menschlich und der Leser kann sie verstehen.
Harry Potter ist mutig und loyal. Er ist aber auch stur und manchmal leichtsinnig - was mehr als einmal sein Leben und das seiner Freunde in Gefahr bringt. Ich würde sagen, er hat eine ziemlich gute Mischung aus Stärken und Schwächen. Oder Hagrid, der Tiere liebt. Das ist seine Stärke, aber auch seine Schwäche. Hagrid liebt Tiere so sehr, dass er nicht immer das beste Urteilsvermögen hat, wenn es darum geht, Entscheidungen über diese Tiere zu treffen.
Hab also keine Angst, deiner Figur sowohl Stärken als auch Schwächen zu geben. Dadurch werden deine Figuren nicht nur sympathischer, sondern du erkennst auch mögliche Konflikte, Widersprüche und Wachstumsmöglichkeiten.
Jede Figur sollte eine bestimmte Rolle in der Geschichte spielen. Das kann alles sein: von einem Job über einen Platz in der Familienhierarchie bis hin zu einer archetypischen Rolle wie der eines Mentors oder eines Kumpels.
Josephine in meinem Kinderbuch „Auf Wiedersehen, kleiner Bruder“ hat selbst schon einen Verlust erlebt und kann deshalb wirklich eine Freundin für Leo sein, die ihn versteht und auch dann an seiner Seite bleibt, als alles den Bach runter geht und er nur noch allein sein will. Josefine kennt nämlich all diese Gefühle.
Dumbledore ist Harrys Mentor. Er ist nicht nur für die gesamte Schule verantwortlich, sondern verbringt viel Zeit mit Harry und bietet ihm im Laufe der Geschichte Einblicke, Anleitung und Ratschläge. Sirius Black ist für Harry fast wie eine Vaterfigur, während Mrs. Weasley ihn wie eine Mutter behandelt.
Diese spezifischen Rollen helfen den Lesern, die Figuren besser zu verstehen, sobald sie in das Buch eintauchen.
Das ist ähnlich wie bei der Figur, die ein Gegenstück hat, aber ein wenig anders, weil es hier um eine größere Gruppe von Menschen geht.
Jedes einzelne Mitglied der Weasley-Familie hat leuchtend rote Haare. Außerdem tragen sie abgetragene Kleidung und haben minderwertige Bücher, Federkiele und Besen. Vergleiche sie mit der Familie Malfoy, die finanziell gut gestellt ist und nur die besten Besen, Bücher und Federkiele benutzt. Darüber hinaus werden sie als weißhaarig, bleich und mit scharfen Zügen beschrieben.
Indem man den Lesern erlaubt, Figuren mit „bösen“ oder „guten“ Gruppen in Verbindung zu bringen, ist es für sie einfacher, den Platz einer Figur in der Geschichte zu verstehen.
Was ist der vorherrschende emotionale Zustand deiner Figur? Die meisten Figuren reagieren immer gleich, wenn sie gestresst sind oder unter Druck stehen.
Wenn Hermine zum Beispiel unter Druck steht, übernimmt ihr logischer Verstand die Kontrolle. Sie greift auf Bücher zurück und sammelt so viele Informationen wie möglich, um ihre Probleme zu lösen. Im Vergleich dazu ist jemand wie Draco Malfoy fast immer voreingenommen und bissig. Er nutzt seinen Status als Reinblüter, das Geld seiner Familie oder den Einfluss seines Vaters, um seine Probleme zu lösen.
Überlege also, wie deine Figur in Stresssituationen oder unter Druck reagieren würde. Flippt sie aus? Sucht sie Rat in Büchern? Vertraut sie sich ihren Freunden an? Im wirklichen Leben reagieren Menschen niemals gleich auf Druck, und so sollte es auch bei den Figuren in deiner Geschichte sein.
Welche Rolle sielt deine Figur bei der Verschleierung eines Geheimnisses? Mit anderen Worten: Benutze sie als eine Art Ablenkungsmanöver, um die Leser in die Irre zu führen oder umzuleiten.
Jemand wie Peter Pettigrew hat sich zum Beispiel über zwölf Jahre lang als Ratte verkleidet, um sich vor dem Rest der Welt zu verstecken. Diese Verschleierung der Wahrheit spielte im dritten Buch der Harry Potter Reihe eine große Rolle. Und wann immer sich die Leser an Peter Pettigrew erinnern, bringen sie ihn mit diesem Geheimnis in Verbindung.
Dasselbe kann man auch über Professor Snape sagen. Während der gesamten Reihe waren die Leser hin- und hergerissen, ob er "gut" oder "böse" ist. Ich kann mir nicht vorstellen, über die Harry-Potter-Reihe zu sprechen, ohne Professor Snape und das große Geheimnis zu erwähnen, das er bis zum Schluss verborgen hält. Er ist der Meister der Zweideutigkeit und des Verbergens.
Alles klar? Und was kannst du jetzt ganz konkret machen?
Jetzt fragst du dich vielleicht: Und wie soll ich das alles bewerkstelligen, wenn ich schreibe? Ich gebe dir meine drei wichtigsten Tipps für die Umsetzung in deiner Geschichte:
Vielfalt ist real. Wir leben und atmen sie täglich. Scheu dich also nicht, den Regenbogen der Menschheit voll auszuschöpfen, wenn es um die Entwicklung deiner Figuren geht.
Es spielt keine Rolle, ob du ein Fantasy-Buch mit Zauberern, Meervölkern, Riesen oder Trollen, Steinfressern oder Zoombies schreibst. Du kannst jeden dieser zehn Tipps in jeder Art von Geschichte verwenden.
Achte darauf, deine Angelhaken oft auszuwerfen oder aber zu erwähnen, damit die Leser sich an sie erinnern, aber auch nicht so oft, dass es lästig wird.
Dabei können dir Beta-Leser, Schreibbuddys oder Lektoren helfen, wenn du einen fertigen Entwurf hast. Nachdem sie deinen Text durchgelesen haben, können sie dir sagen, ob du diese Aufhänger zu oft oder zu wenig eingebaut haben.
Vergewissere dich, dass deine Aufhänger und ihre Figuren etwas zur Geschichte beitragen. Gib deiner Figur keinen „Angelhaken“, nur um ein Kästchen anzukreuzen.
Aus diesem Grund habe ich dir heute so viele Beispiele zitiert, weil keiner der Autoren etwas zufällig in ihre Geschichte eingebaut hat. Jedes einzigartige Detail oder jeder „Haken“ hatte eine Auswirkung auf die gesamte Geschichte - einige davon mehr als andere.
Wenn du also deine Figuren entwickelst, überlege, wie sich diese Details auf alles andere auswirken und wie sie sich in der Geschichte auswirken werden. Auf diese Weise wird sich deine Geschichte am Ende wie ein zufriedenstellendes und zusammenhängendes Ganzes anfühlen und nicht nur wie ein Haufen zufällig zusammengewürfelter Dinge.
Du siehst hoffentlich, wie diese zehn Tipps dir helfen können, einzigartige und unvergessliche Charaktere zu schaffen. Wähle doch eine Mischung aus, um deiner Geschichte Abwechslung und Tiefe zu verleihen.
Nimm dir als Bonusübung eines deiner Lieblingsbücher zur Hand und überlege, ob du einen dieser Tipps für die Hauptfiguren findest? Wie viele verschiedene Arten hast du gefunden?
Ich bin für dich da und unterstütze dich gern bei deinem Buchprojekt.
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Danke an meine Kollegin Savannah Gilbo für ihren inspirierende Artikel zu den Charakter Hooks.