Wie du die Lage für deine Romanfiguren zuspitzt (Steigende Komplikationen)


Was sind steigende Komplikationen im Roman? Wie und wann setzt man sie ein und warum braucht eine Geschichte dieses Element, um funktionieren zu können?

zuletzt bearbeitet am 30. Nov 2021

veröffentlicht am 10. Aug 2018 von Eva Maria Nielsen

Kommentare: 3

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Steigende Komplikationen in deinem Roman (2021)

Steigende Komplikationen in deinem Roman (2021) - Wie du die Lage für deine Romanfiguren zuspitzt (Steigende Komplikationen)


Der Artikel ist Teil der Erkenntnisse des Story Grid.
© Story Grid, Shawn Coyne

Den Einsatz in einer Geschichte zu erhöhen (Was steht auf dem Spiel?) ist ein häufiges Problem für neue Autoren, entweder weil sie nicht wissen, dass sie es tun müssen, oder weil sie ihre Protagonisten nicht ins kalte Wasser werfen wollen.

In diesem Beitrag erfährst du, wie du deiner Hauptfigur das Leben erschweren und erleichtern kannst. 

Am Ende wirst du wissen, wie du das Leseinteresse und die Spannung durch den Einsatz von steigenden Komplikationen halten kannst.

 

Inhaltsübersicht

  1. Definition
  2. Warum brauchen wir steigende Komplikationen im Roman?
  3. Die Skala zur Einordnung der Intensität der Komplikationen
  4. Das auslösende Ereignis der Geschichte und der Beginn der steigenden Komplikationen
  5. die 4 Arten von Komplikationen

 

1. Definition: Steigende Komplikationen in Romanen

Laut des Story Grid gilt eine Komplikation als jedes Hindernis oder jede Gelegenheit, auf die ein Protagonist stößt, während er sein Objekt der Begierde verfolgt.

Das heißt, die steigenden Komplikationen sind die Hindernisse, die dem Protagonisten auf seinem Weg zu seinem Ziel begegnen. 

Wusstest du, dass obwohl wir das Wort Komplikation mit einer negativen Wendung von Ereignissen assoziieren, gilt es hier sowohl für negative als auch für positive Situationen. Figuren stehen vor Herausforderungen oder Prüfungen (negativ), aber sie erhalten auch Werkzeuge und Informationen, die sie brauchen (positiv), um das zu bekommen, was sie wollen.

Es sind diese Herausforderungen, die der Protagonist überwinden muss, was ihn befähigt, sich als Person zu entwickeln.

Dabei sollte der Protagonist steigenden Komplikationen in jeder Einheit von Geschichten begegnen müssen (Szene, Kapitel, Akt, globale Geschichte). Denn die Hauptfigur hat nicht nur ein übergeordnetes Ziel, sondern auch viele kleinere Miniziele, um sein Hauptziel zu erreichen.

Wir bezeichnen diese Komplikationen als »steigend«, weil die Hindernisse in ihrer Intensität zunehmen sollten.

Sollten die Hindernisse jedoch gleich bleiben, sich wiederholen oder gar abschwächen, verliert der Leser das Interesse.

 

 

2. Warum brauchen wir steigende Komplikationen im Roman?

Steigende Komplikationen erzeugen Spannung und sorgen dafür, dass der Leser mit den Figuren mitfiebert.

Lesern gefällt es nicht, wenn sie ihre Zeit einem Protagonisten schenken sollen, der kinderleicht seine Ziele erreicht - ohne dass er selbst an den steigenden Herausforderungen wächst.

Das Ziel eines Autors ist es, den Leser emotional in die Geschichte einzubinden und ihn mit dem Protagonisten und seinem Abenteuer mitfiebern zu lassen.

Wir müssen den Leser dazu bringen, etwas zu fühlen. Indem wir den Einsatz der Geschichte erhöhen und die Situation immer mehr erschweren, bringen wir den Helden näher an sein Objekt der Begierde heran oder entfernen ihn davon.

Die große Frage, die sich der Leser stellt, ist: "Wird der Held bekommen, was er will?", was bedeutet, dass wir mehr und mehr emotional in die Geschichte involviert werden, wenn die Dinge schwieriger werden und die Einsätze höher werden.

Aber was genau ist es, das immer komplizierter wird?

Es ist die Fähigkeit des Helden, zu bekommen, was er will und es ist die Reise = die Verfolgung des Ziels.

Insgesamt wird es immer schwieriger, das zu bekommen, was er will, bis es so aussieht, als würde er nie das bekommen, wonach er strebt.

Allerdings kann es für den Protagonisten nicht immer nur schlimmer werden - das wäre ja langweilig. Manchmal werden die Dinge besser und der Held kommt dem, was er will, näher. Manchmal sind die Komplikationen positiv. Denn egal ob eine Komplikation positiv ist und dem Protagonisten hilft oder negativ ist und ihm schadet, sie verkompliziert oder verändert die Art und Weise, wie er sein Ziel verfolgt. Jede Veränderung in der Zielverfolgung verändert die Situation, auch wenn es zum Besseren ist. 

 

Hier sind 3 Dinge, die du beim Einsatz von steigenden Komplikationen beachten solltest:

Damit die Komplikationen in deiner Geschichte ihre Wirkung entfalten können, müssen sie sich an bestimmte Regeln halten:

1. Sie MÜSSEN sich steigern, um die Spannung zu erhöhen.
Um zu erhöhen, was für die Figur auf dem Spiel steht, muss jede Komplikation stärker sein als die vorherige. Andernfalls wird die Geschichte an Momentum verlieren und deine Leser langweilen sich.

2. Sie MÜSSEN eskalieren bis sie in einem Wendepunkt enden.
Die Komplikationen eskalieren bis hin zu einem Wendepunkt, bei dem sich der Wert der Szene verschiebt

(Erfahre hier mehr über den Wendepunkt und das Konzept des Wertewandels: Was ist ein Wendepunkt in einer Geschichte?)

3. Jede Komplikation MUSS einzigartig sein.
Um deine Geschichte voranzutreiben, brauchst du eine Reihe von Komplikationen, die dem Protagonisten das Leben zunehmend schwerer machen (auf positive und negative Weise). Um dies zu erreichen, stelle sicher, dass jede der Komplikationen, denen deine Figur gegenübersteht, einzigartig ist. Wenn du eine wiederholst, verliert deine Geschichte an Schwung und deine Leser verlieren das Interesse.

Tipp: Es ist auch wichtig, dass du keine zufälligen Hindernisse einbaust, die nicht direkt oder indirekt mit dem zentralen Konflikt der Geschichte zu tun haben. Es kann auch ein Problem sein, die Hindernisse zu schnell ansteigen zu lassen, oder sie zu früh aufzulösen, weil du riskierst, Punkte einzuführen, die von der globalen Geschichte wegführen.  

Wusstest du, dass einer der besten Dinge an einer großartigen Geschichte ist, wie sie sich von Moment zu Moment voranbewegt. Diese Bewegung wird durch gute steigende Komplikationen erreicht. Die besten Autoren wissen das. Denn steigende Komplikationen bringen den Leser dazu bis zur Krise, dem Höhepunkt und der Auflösung weiterzulesen.

 

3. Die Skala zur Einordnung der Intensität der Komplikationen

Beispiel: Herkules musste 12 Aufgaben meistern, um von den Göttern in den Olymp aufgenommen zu werden. Eine dieser Aufgaben war es, die Hydra zu besiegen. Nicht nur war das Blut der Hydra giftig, doch mit jedem Kopf, den Herkules abgeschlagen hatte, wuchsen zwei weitere nach.

Die 'Herkules-Metapher' ist ein gutes Beispiel, wie sich auch die steigenden Komplikationen in der Geschichte entwickeln müssen.

Der Schwierigkeitslevel muss sich immer weiter erhöhen, genauso wie in den Videospielen wie z.B. Super Mario. Der erste Level ist noch einfach. Mit dem zweiten wird es schwieriger und so weiter. Setzt man den dritten Level an den Anfang und dann kommt der erste, wird der Leser die Lust am Lesen verlieren. So würde es einem auch beim Videospiel ergehen, wenn die Herausforderungen plötzlich einfacher werden würden.

 

3.1 Wie kann man feststellen, dass man das Leben seines Protagonisten zunehmend erschwert?

In Kapitel 41 von The Story Grid: What Good Editors Know, sagt Shawn Coyne, dass der Konflikt in einer Geschichte nach und nach eskalieren muss. 

Er nutzt daher für die Bewertung eines Manuskripts 'The Power of 10', um unter anderem jede steigende Komplikation zu verfolgen. Dabei bewertet er, wie schwierig es für die Hauptfigur wäre, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Dabei nutzt er eine Skala: 1 ist sehr einfach und 10 ist unmöglich.

Wusstest du, dass 'The Power of 10' ist eine Methode, um zu analysieren, ob sich die Lage zunehmend erschwert für deine Figuren, und ob die Einsätze (von dem, was auf dem Spiel steht) höher werden, und ob es eine Mischung aus Hindernissen und Möglichkeiten gibt, und ob die Geschichte durch diese Komplikationen vorangetrieben wird. Es geht nicht um das Zahlensystem, es geht um die Analyse. 

Höre dir in dieser Podcast Episode des Story Grid an, wie Shawn Coyne und Tim Grahl über anspruchsvolle Konzepte sprechen: https://storygrid.com/highconcepts/

Bevor du jedoch die Skala nutzen kannst, musst du dein primäres Genre definieren.

Nur dann kennst du die Werte, die sich auf der Skala befinden.

D.h. bei einer Actiongeschichte könnten wir folgende Werte zwischen den beiden Endpunkten Leben und Tod einzeichnen:

1. Leben

2. Ermüdung

3. Erkältung

4. Grippe

5. Lungenentzündung

6. Tiefschlaf

7. Halbbewusstseinszustand

8. Unbewusstheit

9. Koma

10. Hirntod

11. Lebenserhaltung

12. Tod

Die Komplikationen in der Geschichte würden dann von 1 bis 12 zunehmen, während das Leben des Protagonisten immer mehr in Gefahr gerät.

Hinweis: Auch wenn es Shawn Coyne 'The Power of 10' nennt, hängt die Anzahl der Stufen, die du wählst, ganz von deiner Geschichte ab. Es muss nicht 10 sein, nicht einmal ein Faktor von 10.

Das ergibt Sinn, denn wenn die Figur im ersten Akt halb bewusstlos (7) ist, aber am Ende des Mittelteils nur eine Erkältung (3) hat, wäre die Geschichte nicht sehr spannend.

Das Risiko für das Leben der Figur würde kleiner werden, was bedeutet, dass nicht mehr so viel auf dem Spiel stände.

Tipp: Was auf dem Spiel steht, ist an den globalen Wert gebunden (=Kernwert des gewählten Genres deiner Story).

Finde hier die Spektren aller Genres: Kernwerte der Genres

 

3.2 Beispiel zu steigenden Komplikationen

In einer Geschichte muss man die Einsätze erhöhen, vor allem von dem, was primär in der Geschichte auf dem Spiel steht.

Wie am obigen Beispiel zu sehen, dreht sich eine Action-Geschichte um Leben und Tod (=Leben steht auf dem Spiel).

Schauen wir uns an, wie Suzanne Collins steigende Komplikationen für 'Die Tribute von Panem' eingesetzt hat.

Beispiel: Die Tribute von Panem

Eine Frage treibt die gesamte Geschichte an: Wie kann Katniss überleben?

Auch wenn die Geschichte mit einer Frage beginnt, bei der viel auf dem Spiel steht, hat Suzanne Collins einen Weg gefunden, sie noch weiter zu steigern. Zum Beispiel:

1. Wir erfahren, dass Katniss einen Mentor haben soll (Chance), aber er ist ein Säufer (Hindernis). Wie kann sie ohne jemanden, der sie trainiert, überleben?

2. Um das Spiel zu gewinnen, muss Katniss die Menschen dazu bringen, sie zu mögen. Darin ist sie nicht gut - eigentlich ist sie sogar schrecklich darin. (Hindernis) Wie kann sie gewinnen, wenn niemand sie mag?

3. Peeta versteht es, das Spiel zu spielen und ist sympathisch. Gibt ihm das einen Vorteil?

4. Cinna ist ein Verbündeter (Chance), aber wird Katniss auf ihn hören (denn es ist offensichtlich, dass sie auf niemanden sonst hören wird)?

Mit jedem Hindernis fragen wir uns, wie Katniss es überwinden wird, um die Spiele zu überleben. Und bei jeder Chance fragen wir uns, ob sie es vermasseln wird. Erinnere dich, was Katniss braucht, ist zu lernen, verletzlich zu sein. Und weil sie sich weigert, das zu tun, ruiniert sie jede Gelegenheit, die sich ihr bietet.

 

3.3 Negativbeispiel zu Komplikationen, die nicht ansteigend sind

Wenn sich also die Komplikationen in deiner Geschichte nicht steigern, wird deine Geschichte nicht funktionieren.

Zu wissen, wie man steigende Komplikationen bewertet, ist daher ein wichtiger Teil des Schreibprozesses.

Aber wie kann man herausfinden, ob diese Komplikationen auch wirklich in ihrer Intensität zunehmen und nicht gleich bleiben oder gar schwächer werden?

Sieh dir dieses Beispiel an:

Ein ambitionierter Anwalt/Koch/Designer absolviert an der Humboldt-Universität zu Berlin/Excellence Kochschulen/Hochschule für Design und sucht einen Job. Nach monatelangen Absagen entscheidet er sich einen Nebenjob anzunehmen, während er weiterhin versucht seinen Traum zu verfolgen.

Das auslösendes Ereignis tritt letztlich mit dem Nebenjob ein, der ihn zu einem Büroassistenten/Kellner/Kaffeekocher werden lässt.

Während er als Büroassistent/Kellner/Kaffeekocher arbeitet, wird er von den interessantesten Projekten von Verfahren/Spezialitäten/Kreativität umgeben und darf sogar mithelfen. Daraufhin wird er befördert. Der Anwalt/Koch/Designer erhält seinen Traumjob und wird mit Status und einem guten Gehalt entlohnt.

Doch mit der Zeit wird der Anwalt/Koch/Designer müde von der Verfahrensarbeit / den Gourmet-Künsten / den Kreativprojekten und entscheidet sich, seiner wahren Leidenschaft als Sänger/Coach/Bäcker nachzugehen. Er versucht daraufhin, einen Plattenvertrag zu bekommen / Kundschaft zu gewinnen / ein Geschäft zu eröffnen, aber der Erfolg bleibt aus.

Doch dann wird er für einen Auftritt gebucht/ um Hilfe gebeten / als Caterer bestellt, doch das erhoffte Ergebnis bleibt weiter aus. Der Anwalt/Koch/Designer verliert während dieses Unterfangens seinen finanziellen Puffer, aber lernt sich selbst besser kennen.

Er weiß nun, dass sein Glück von menschlichen Beziehungen bestimmt wird und nicht durch die Bedeutung seiner Arbeit.

Ende.

Diese Geschichte wird nie funktionieren.

Neben der Tatsache, dass die Beispielgeschichte keinen Antagonisten hat (außer der vagen Annahme, dass der Protagonist in innerer Aufruhr ist), und ein Klischee als auslösendes Ereignis besitzt, eskalieren die Schwierigkeiten und Erfolge nicht, mit denen / für die der Protagonist kämpfen muss. 

Natürlich könnte man mit Sprache und Stil die oben genannte Ausführung unterhaltsam ausgestalten, doch diese Geschichte überzeugt trotzdem nicht.

Man kann sie vielleicht kommerziell ausschlachten (wenn man die Mittel dazu hat), aber sie wird nie über die Jahre bestehen.

 

3.3.1 Die Komplikationen auf einer Skala

Weisen wir den Komplikationen der Beispielgeschichte einen Wert auf einer Skala von 1-10 (schwach – stark) zu, würden wir folgendes Ergebnis erzielen:

(2) Abschluss

(3) Reise um bedeutungsvolle Arbeit zu finden

(4) Findet keine bedeutungsvolle Arbeit

(3) Findet einen Nebenjob

(2) Erfolg im Nebenjob

(3) Beförderung im Nebenjob

(3) Mehr Erfolg im Job

(4) Kündigt, um sich wieder der Reise nach einem bedeutungsvollen Job zu widmen

(5) Misslingt

(6) der Durchbruch

(7) Misslingt

(3) Die Reise kommt an ihr Ende, weil die Suche nach einem bedeutungsvollen Job von bedeutungsvollen menschlichen Beziehungen abgelöst werden.

Man erkennt anhand der Zahlen (2, 3, 4, 3, 2, 3, 3, 4, 5, 6, 7, 3) , dass die Geschichte nur dahin schleicht.

Die bereits bekannten Komplikationen wiederholen sich und das, was auf dem Spiel steht, langweilt den Leser.

 

3.3.2 Was kann der Autor von obiger Geschichte verbessern?

Die Lösung für die Geschichte wäre, dass sich der Autor auf ein Genre festlegt und eine stärkere Botschaft in die Geschichte einwebt.

Vertrauen Autoren auf die Meinung ihrer Lektoren, dann können sich aus den auslösenden Ereignissen (Level 10) Konflikte und Komplikationen entwickeln, die auf der Skala von 11 (Anfang) - 100 (am Ende der Geschichte) reichen.

 

3.3 Steigende Komplikationen sind das beste Indiz dafür, ob die Geschichte funktioniert.

Man sollte sich merken, dass steigende Komplikationen die Handlung immer voranbringen und nie rückwärts verlaufen.

Das erreicht man, indem die Komplikationen das Leben des Protagonisten immer mehr erschweren (im positiven wie auch negativen). Sozusagen kann die Hauptfigur in Akt 2 oder Akt 3 nicht mit dem gleichen Dilemma konfrontiert werden, welches ihr bereits in Akt 1 begegnet ist.

Die Geschichte muss ab dem auslösendes Ereignis in ein Dilemma führen, von diesem in ein noch größeres Problem und von dort zu einer beinah unüberwindbaren Herausforderung.

Tipp: Für innovative steigende Komplikationen ist es nützlich, (1) die Wünsche und Bedürfnisse der Figur in der globalen Geschichte zu kennen, (2) die Position des gewählten Genres der Geschichte auf Maslows Bedürfnispyramide zu definieren, (3) das Vorhaben oder das Szenenziel der Figur vor Augen zu haben, (4) die Konfliktebenen (außerpersönlich, zwischenmenschlich und innerlich) einzusetzen und (5) die Art der antagonistischen Kraft in der Szene zu betrachten. 

Grundsätzlich gilt, du musst die Art und Weise verstehen, in der die Kräfte des Antagonismus und das, was der Protagonist wirklich will, in Konflikt stehen.

 

3.3.1 Wie kannst du überprüfen, dass deine Geschichte über steigende Komplikationen verfügt?

Stell dir dazu einfach folgende Fragen:

  • Wie schwer wäre es für meine Hauptfigur, ihre Entscheidung zurückzuziehen?
  • Könnte sie ihr altes Leben ohne irgendwelche Auswirkungen wiederaufnehmen?
  • Mit ein paar Auswirkungen?
  • Oder gibt es kein Zurück?

 

Man erreicht den Punkt ohne Wiederkehr, wenn, egal welche Entscheidung der Protagonist trifft, die Erfahrung ihn unwiderruflich verändern wird.

Wenn er das eine tut, begibt er sich in große Gefahr (physisch oder psychisch), und wenn er es nicht tut, wird ihn die Reue sein gesamtes Leben lang verfolgen, so dass er nicht mehr so sein kann, wie er früher war.

In diesem Artikel kannst du erfahren, wie hart die Entscheidung für Bilbo war, ob er mit den Zwergen zum Einsamen Berg ziehen soll oder nicht. Die Krise für Figuren im Roman

Wenn du dir das obige Negativbeispiel noch einmal durchliest, wirst du erkennen, dass keine der Entscheidungen den Protagonisten unwiderruflich geprägt hätte. Er kann jederzeit seine Jobsuche wieder aufnehmen, ohne das sich seine Weltansicht wirklich verändert hat.

Erinnerst du dich an das Säbelzahn-Eichhörnchen Scrat von Ice-Age? Seine Aufgabe, die Haselnuss zu lagern, erscheint so einfach, dennoch begegnen ihm so viele Komplikationen, dass es für ihn unmöglich wird.

 

4. Das auslösende Ereignis der Geschichte und der Beginn der steigenden Komplikationen.

Das auslösende Ereignis ist der Anfangspunkt der Reise, auf welcher der Protagonist sein unbewusstes oder bewusstes Objekt des Verlangens definieren kann.

Doch dieses Objekt des Verlangens ist nicht der wichtigste Bestandteil der Geschichte, sondern es ist das Abenteuer, das Ziel zu erreichen, das uns das auslösende Ereignis verspricht.

In Der Herr der Ringe will Frodo den Ring in das Feuer des Schicksalsberges werfen, um den bösen Herrscher Sauron zu vernichten. Die Zerstörung des Rings stellt Frodos bewusstes Objekt des Verlangens dar, aber es ist seine Reise, die jeder Leser/Zuschauer miterleben will.

Im König der Löwen möchte Simba König werden, doch mit dem Verlust seines Vaters verliert sich dieser Wunsch, bis das geweihte Land ihn braucht, um Ska und seine Hyänen zu vertreiben. Auch hier ist es Simbas Reise, die wir erleben möchten.

Im Film »Auf der Flucht« will Harrison Ford den einarmigen Mann finden, der seine Frau umbrachte.

In »Alien« will Sigourney Weaver das Monster töten.

In »Das Schweigen der Lämmer« will Clarice Starling Buffalo Bill finden. Doch auch hier und in jeder anderen Geschichte ist es die Reise, die den Leser/Zuschauer interessiert.

Hier kannst du mehr über das aulösende Ereignis der globalen Geschichte erfahren: Das auslösende Ereignis der Geschichte

 

5. Die 4 Arten von Komplikationen

Komplikation in Geschichten für die FigurenDie folgende Ausführung ist die Fortsetzung des Beispiels, was ich nutzte, um zu erklären, was ein Wendepunkt ist.

Lies dir das oben genannte Beispiel hier noch einmal durch, damit du die weiteren Ausführungen besser verstehen kannst.

Fortgeführtes Beispiel:

Ausgangssituation: Ich sitze im Park und der Wind reißt mir meine Eintrittskarte von dem Konzert aus der Hand, auf das ich mich schon seit Monaten gefreut habe.

Mein Ziel: Die Karte wiederzubekommen.

Dieses Ziel (der Wille, das Ticket wiederzubekommen) treibt mein Verhalten an.

Aber als ich dem Ticket hinterher jage, passieren unterschiedliche Dinge, die mich unterbrechen.

 

Es gibt vier verschiedene Dinge, die das Erreichen des Ziels verhindern und den Protagonisten vom Kurs abbringen können.

5.1. Ein Hindernis – negativ 🚧

Komplikation 1: Ich springe auf, verheddere mich in der Picknickdecke und falle auf die Wiese.

Ich stürze auf die Wiese = ein Hindernis, das ich überwinden muss.

Der Sturz ist somit eine negative Sache, die mir auf meinem Weg passiert.

Daraufhin muss ich mich dem Hindernis stellen und meinen Pfad zum Ziel überdenken. Ich muss eine Entscheidung treffen, wie ich mich am besten verhalten soll, um meinen Weg fortzusetzen.

Beispiel: Ich setze meine Füße auf das Gras, bevor ich aufstehe, weil ich durch die gewellte Decke und/oder die Grasflecken an meinen Knien an den Sturz erinnert werde.

 

5.2. Werkzeug/Chance – positiv 🛠️

Ein hilfreiches Werkzeug kommt zum Vorschein.

Beispiel: Mein Ticket wedelt durch die Luft. Vor mir liegt ein Kescher, den ich zum Einfangen des Tickets nutzen kann.

Ich stoppe, nehme das Werkzeug auf und freue mich über das tolle Hilfsmittel. Auch dem Protagonisten ergeht es so, wenn er etwas findet, dass ihm hilft, sein Ziel zu erreichen.

Das Gehirn schüttet ein paar Glückshormone aus und der Protagonist wird heiterer. 😀

Auch Werkzeuge können als »steigende Komplikationen« eingeordnet werden.

Sie müssen in ihrer Wertigkeit höher sein, als die vorherige »Komplikation«.

 

5.3. Alles andere – Irrelevant 💤

Beispiel: Alles andere, was/wer sich ebenso im Park aufhält, ist irrelevant.

Je nachdem, wie das Setting deiner Szene ist, weitet sich diese Annahme auf Dorf, Stadt, Land aus.

Beispiel: Während ich auf meinem Weg zm Ticket bin, ist mir der Rest des Universums relativ egal. Ich nehme weder die Kinder wahr, die einen Drachen steigen lassen, noch die ältere Dame, die ihren Krückstock fallen lässt. All das ist irrelevant.

Diese irrelevanten Dinge umgeben den Protagonisten die ganze Zeit.

Doch je nachdem, wie du diese irrelevanten Dinge einsetzt, können sie als Setup für eine spätere Komplikation dienen. Sie sind nur im Moment irrelevant, aber später von Bedeutung.

 

5.4. Das unerwartete Ereignis – Der Wendepunkt 🔥

Das unerwartete Ereignis ist etwas, das geschieht, mit dem der Protagonist auf seinem Weg zum Ziel nicht gerechnet hat. Dieser Wendepunkt katapultiert den Protagonisten in eine Krise, auf die er reagieren muss.

Es ist, als würde er auf einer dünnen Eisfläche laufen, die seinem Gewicht wunderbar standhält. Dann öffnet sich ein Loch und er fällt hinein.

Das ist der Moment der Krise.

Es ist eine Krise, die im alltäglichen Verhalten und auch beim Geschichtenerzählen auftritt.

Beispiel: Das auslösende Ereignis ist, wenn ich beschließe, dem Ticket hinterher zu jagen, um meine anderen Ziele zu erreichen (Konzertbesuch).

Die Entscheidung ist eine Mikro-Aufgabe, die dazu beiträgt, dass ich einen schönen Abend mit Musik erleben kann. Die steigenden Komplikationen sind sowohl die negativen Hindernisse als auch die positiven Werkzeuge, die mir auf meinem Weg begegnen, das Ticket wieder zu bekommen.

Bei der Krise ist es so, dass eine Komplikation auftritt, die wie ein schwarzes Loch ist.

Beispiel: Ich sehe weder links noch rechts, aber plötzlich ist da ein dumfes Aufschlagen und ein Schrei.

In diesem Moment fällt der Protagonist in das Loch, denn genau in diesem Moment entsteht die Krise im Inneren des Protagonisten.

Krise: Verfolge ich meinen Weg weiter, um das Ticket zu holen, ODER gebe ich das Ziel auf und helfe der alten Frau, die gestürzt ist?

Die Krise ist ein vollkommenes, unerwartetes Ereignis und entsteht aus all den Dingen, die irrelevant sind.

Etwas, das irrelevant für den Protagonisten zuvor war, wird plötzlich sehr ernst.

Beispiel: die alte Dame, die vorher auf der Bank saß und die Tauben fütterte, war ein vertrautes Bild, dem ich keine Beachtung schenkte. Aber als sie stolpert und fällt, wird ihre Anwesenheit für mich relevant.

Die unerwartete Komplikation zieht mich aus meinem Verhalten / meiner Handlung heraus und ergibt eine Krise für mich.

In diesem Artikel kannst du erfahren, wie hart die Entscheidung für Bilbo war, ob er mit den Zwergen zum Einsamen Berg ziehen soll oder nicht. Die Krise für Figuren im Roman

In meinem Beispiel ist die Krise: Eine beste schlechteste Wahl – oder eine Entscheidung zwischen zwei positven Optionen, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen.

 

5.4.1 Krise: Beste schlechteste Wahl

Beispiel: Wenn ich dem Ticket weiter hinterher jage, wird die Frau leiden. Dann werde ich mich auch später noch beim Konzert schlecht fühlen und ich werde den Abend nicht genießen können.

oder

Beispiel: Wenn ich der Frau helfe, werde ich das Ticket womöglich verlieren und nicht zum Konzert gehen können.

In diesem Moment muss ich eine aktive Entscheidung über mein Verhalten treffen.

Diese Entscheidung wird der Höhepunkt der kleinen Mini-Szene werden.

 

5.4.2 Krise: Zwei positive Möglichkeiten, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen

Beispiel: Wenn ich das Ticket fange, wäre das gut für mich und mein persönliches Glücksgefühl. Ich würde in dem sozialen Gefüge meiner Bekannten, die mit mir auf's Konzert kommen, nach oben steigen und Freundschaftserlebnisse aufbauen. Das wäre gut für mich.

oder

Beispiel: Es wäre gut für die Frau, wenn ich ihr helfe.

 

Krise: Das tiefe Loch

Unser gesamtes Leben besteht aus diesen Mini-Momenten – immer und immer wieder. Denn alles, was wir erreichen wollen, hängt von unserer Projektion eines Bedürfnisses oder eines Zieles ab.

Alles, was wir tun (ich will nach Berlin fahren; ich will früh um 5 aufstehen, ...) bricht sich auf viele kleine, aktive Aufgaben und Entscheidungen herunter, die von den vier Dingen abhängen:

  • dem negativen Hindernis
  • dem positiven Werkezeug
  • den irrelevanten Dingen
  • dem unerwarteten Ereignis (ein Ereignis, dass wir nicht vorhersehen konnten)

 

Wir fallen in ein Loch und wissen nicht, wie tief wir fallen werden. Das ist die Krise.

In einer Geschichte fädeln wir diese kleinen Mini-Ereignisse auf (von der Szene zur Sequenz, Akt, Subplot, zu Anfang, Mitte und Ende der Geschichte) und lassen sie eskalieren. Die schwarzen Löcher werden immer größer, wobei die Löcher von Anfang, Mitte und Ende richtig tief sein müssen.

Wir müssen in jeden der drei Teile (Anfang, Mitte und Ende der Geschichte) nach oben steigen, nur um dann unseren Protagonisten wieder in tiefes, eiskaltes Wasser fallen lassen zu können. (Genau dann, wenn die Krise in diesen Akten aufkommt)

Manchmal, wenn man ins Loch fällt, fällt man in eisiges Wasser (negatives Hindernis, unerwartetes Ereignis)

Andere Male ist es etwas, das eine Möglichkeit darstellt (positives Werkzeug).

Sollte eine Szene dabei sein, in der es keine Entscheidung gibt, ist es keine Szene. Ändere sie oder hau sie raus.

TippSollte die betrachtete Einheit deiner Geschichte über keinen Wendepunkt verfügen, wird die Geschichte darunter leiden. Je größer die Einheit dabei ist (Sequenz, Akt, global), wird die Geschichte immer weniger funktionieren. Egal, in welcher Lage sich dein Protagonist befindet, versuche sein Streben nach seinem bewussten/unbewussten Ziel immer stärker zu verschlimmern. Doch bedenke, dass bedeutet nicht, dass alles schief laufen muss. Lass ihm auch die kleinen oder großen Erfolge, denn nur mit diesen Gegensätzlichkeiten können die schlechten Ereignisse Gewicht bekommen.

 

Was denkst du über Komplikationen für deine Protagonisten?

Hast du daran gedacht, dass selbst Hilfsmittel zu den steigenden Komplikationen zählen können?

Hinterlass deine Fragen / Anregungen gern in den Kommentaren.



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Melanie Naumann ist die erste zertifizierte deutsche Story Grid Lektorin. Sie ist die Gründerin von Storyanalyse.de und gab die Leitung von Storyanalyse im Dezember 2021 an die Geschichtenhebamme Eva Maria Nielsen ab. Melanie arbeitet seither vorwiegend mit Songwritern zusammen, um ihnen zu helfen, die Power of Storytelling für ihre Songtexte zu nutzen.

Dein Kommentar

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Kommentare 3


Lyla

01. Februar 2021

Ein wirklich toller Blog mit sehr hilfreichen Tipps! Eine Frage habe ich: Was unterscheidet irrelevante Dinge von einem unerwarteten Ereignis?

Melanie - Storyanalyse.de

02. Februar 2021

Hey Lyla, irrelevante Dinge beeinflussen deinen Protagonisten zunächst nicht. Sie beziehen sich auf seine Umgebung, aber sie halten ihn nicht davon ab, sein Ziel zu erreichen. 

Ein unerwartetes Ereignis ergibt sich aus der Umgebung deines Protagonisten, entweder ist es ein zufälliges Geschehen (z.B. äußere Einflüsse wie Wetterumschwung), oder kausales (z.B. die Handlungen anderer Personen, die sich direkt auf deinen Protagonisten auswirken). Dieses unerwartete Ereignis stellt sich in den Weg deines Protagonisten. Was vorher ein direkter Weg zu seinem Ziel war, hat sich nun in eine Wegkreuzung verwandelt. Deine Figur muss zunächst auf dieses unerwartete Ereignis reagieren und eine Entscheidung treffen. Dieses unerwartete Ereignis (auch Wendepunkt) verändert den Wert der Szene, z.B. Leben zu Tod, vorsichtig zu losgelöst, gerecht zu ungerecht, ... 

Wendepunkte verursachen einen Wandel vom Anfang zum Ende der Szene. Und die große Frage ist, wie reagiert dein Protagonist auf dieses Ereignis.

Auf irrelevante Dinge muss er nicht reagieren, denn sie bilden keine Komplikationen. Zumindest noch nicht. Sie können sich jedoch im späteren Verlauf zu einer Komplikation entwickeln.

Aber diese unerwarteten Ereignisse hauen ihn so richtig aus der Bahn.

Mehr dazu hier: Was ist ein Wendepunkt in einer Geschichte?

Lyla

11. Februar 2021

Danke für die Erklärung! :-)