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Autorinnen und Autoren wollen fesselnde Geschichten erschaffen, die die Leserinnen und Leser in ihren Bann ziehen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie sich die Charaktere, insbesondere der Protagonist, im Laufe der Geschichte entwickeln. Eine Methode, die dir dabei helfen kann, sind die Story-Quadranten, wie Shawn Coyne vom Story-Grid sie lehrt. In diesem Artikel werde ich die Definitionen dieser Quadranten genauer betrachten und anhand von Beispielen veranschaulichen, damit du deine Handlungsbögen noch spannender gestalten kannst.
Was ist ein Story-Quadrant?
Bevor wir in die Details der Quadranten eintauchen, möchte ich dir zunächst erklären, was ein Story-Quadrant überhaupt ist. Die Grundlage jeder guten Geschichte sind fesselnde Charaktere. Um diese zu entwickeln, ist es eine Hilfe, wenn du mit Charakterbøgen arbeitest.
Story Grid Lektoren arbeiten systematisch und analytisch. Die Geschichte wird wie ein Kuchen in vier Teile, die wir als Quadranten bezeichnen, eingeteilt. Jeder Quadrant repräsentiert eine bestimmte Phase der Veränderung und Entwicklung der Hauptfigur. Diese Quadranten helfen uns, die Perspektive der Figur immer im Blick zu behalten, um spannende und packende Szenen zu erschaffen.
Dies sind die wichtigsten Fragen zur Figurenentwicklung:
Die Quadrantenstruktur
Ein Quadrant ist eine Einheit, die die Entwicklung eines Charakters zeigt. Dabei geht es um die Fähigkeit des Helden oder der Heldin - beim Story Grid sagt man der Avatar - , sich an die Veränderungen im globalen Kontext der Erzählung anzupassen.
Quadrant Eins (Auslösendes Ereignis): Hier geht es um den Anfang deiner Geschichte, das auslösende Moment, der Augenblick, der alles verändert und den Avatar in Bewegung bringt. Hier werden die Figuren eingeführt, du zeigst ihren Alltag und deutest auch das Thema deines Buches an. Bitte mach es nicht zu komplex, nicht mehr als maximal drei Themen sollten angerissen werden. Hier deutet sich auch schon der Konflikt an. Dieser erste Quadrant ist ein wenig das Warm-werden vor dem Aufbruch ins Abenteuer!
Der Protagonist wird dazu angeregt, sich mit dem globalen Problem zu befassen. Er kann sich dafür entscheiden, sich zu engagieren und das Problem zu lösen, oder er wird durch einen externen Faktor, auf den er keinen Einfluss hat, gezwungen, sich weiter zu engagieren.
Quadrant Zwei (steigende Komplikationen): Der Held hat jetzt die Schwelle in den 2. Akt überschritten. Er findet sich in einer neuen oder ungewohnten Welt und hat die Herausforderung des auslösenden Ereignisses angenommen. In diesem neuen Setting findet er oft neue Freunde, aber es gibt auch Prüfungen und Konflikte. Es kommt zur Midpoint-Krise oder dem globalen Wendepunkt. Sorge hier dafür, dass sich die Herausforderungen häufen. Es darf keine einfache und schnelle Auflösung geben.
Der Protagonist/die Protagonistin geht davon aus, dass das Problem mit einer "Fix it and forget it"-Mission gelöst werden kann und wendet bewährte Praktiken an. Ihr derzeitiger Rahmen zerbricht, da ihre anfängliche Strategie entweder das Problem nicht löst oder das unmittelbare Problem behebt, aber unbeabsichtigte Folgen hat.
Quadrant Drei (globale Krise): Die Schwelle bietet die Midpoint-Krise. Du findest sie in gut strukturierten Büchern und in Filmen in der Mitte der Handlung. Da geht es nicht nur spannend zu. Nein, der Held geht auch durch eine Katharsis.
Katharsis, ein Begriff aus der griechischen Philosophie und Literatur, beschreibt einen tiefgreifenden emotionalen Reinigungs- oder Klärungsprozess. Der Ursprung des Wortes liegt im Griechischen. kathairein bedeutet so viel wie reinigen oder klären. In der antiken Tragödie spielte die Katharsis eine besondere Rolle.
In den Dramen des antiken Griechenlands wurden Zuschauer oft mit starken Emotionen konfrontiert - Trauer, Angst, Wut und Mitgefühl waren allgegenwärtig. Diese Emotionen wurden durch die Handlung der Stücke hervorgerufen und entwickelten sich bis zum Höhepunkt des Geschehens immer weiter. Doch dann geschah etwas Besonderes: Durch das Erleben dieser intensiven Gefühle wurde beim Publikum eine Art Reinigungseffekt erzielt. Die Katharsis war also nicht nur ein einfacher Ausdruck von Emotionen, sondern auch eine Möglichkeit für die Zuschauerinnen und Zuschauer, ihre innersten Ängste und Sorgen zu bewältigen. Indem sie diese Gefühle auf der Bühne miterlebten und durchlitten, konnten sie sich davon befreien und so geistige Klarheit erlangen. Dieser reinigende Effekt konnte jedoch nur erreicht werden, wenn die tragische Figur am Ende ihrer Reise standhaft blieb - sei es nun in Form eines triumphalen Sieges oder einer schmerzhaften Niederlage. Die Katharsis war somit eng mit dem Schicksal der Protagonisten verbunden. Durch ihr Leiden und ihre Entscheidungen konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer einen Teil ihrer eigenen inneren Konflikte erkennen und sie im Idealfall lösen. Auch außerhalb des Theaters kann Katharsis eine wichtige Rolle spielen. In der Psychologie wird der Begriff verwendet, um auf den Prozess hinzuweisen, in dem Menschen emotionale Blockaden oder belastende Erfahrungen durch das Erkennen, Verarbeiten und Loslassen von negativen Gefühlen überwinden können. Indem man sich seinen Ängsten stellt, traumatische Ereignisse verarbeitet oder tief verwurzelte Glaubenssätze hinterfragt, kann man zu einem Zustand emotionaler Reinheit gelangen. Die Bedeutung von Katharsis reicht also weit über die antike Tragödie hinaus. Es ist ein universelles Konzept für persönliches Wachstum und Selbstheilung - eine Möglichkeit, unsere Emotionen zu verstehen und uns von ihnen zu befreien.
Ob auf der Bühne oder im Alltag: Die Erfahrung einer tiefgreifenden Reinigung kann uns helfen, unser volles Potenzial auszuschöpfen und ein erfülltes Leben zu führen.
Katharsis bedeutet hier: Der Held erkennt, dass die Strategie, die er zuerst angewendet hat, um sein Ziel zu erreichen, nichts nutzt. Sie hat ihm nicht geholfen. Er hat sein Ziel immer noch nicht erreicht. Sie hat ihn vielleicht sogar in größere Schwierigkeiten gebracht. Deshalb ändert er jetzt sein Verhalten und seine Strategie (Podcast). Das hat Konsequenzen und der Leser bangt: Was passiert jetzt?
Der Protagonist/die Protagonistin rechnet mit der Ungewissheit, dass er/sie vielleicht nie wissen wird, wie er/sie das globale Problem lösen kann und wendet neue Praktiken an. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis beginnt er, einen neuen mentalen Rahmen zu bilden, der ihm hilft, das Problem trotz der Ungewissheit zu lösen.
Quadrant Vier (Krise und Auflösung): Hier geht es um die Auflösung der Geschichte. Der „Endkampf“ findet statt, der Held wird sich zum letzten Kampf aufrappeln, nachdem er gescheitert ist. Und das erlebt der Leser wie eine Wiedergeburt. Für diesen Mut, für diese Ausdauer wird er schlussendlich belohnt - sei es mit Ehre wie in Gladiator oder mit dem Sieg über den Antagonisten oder die antagonistischen Kräfte. Das bringt die universelle Katharsis zum Vorschein. Nicht nur der Held wird transformiert. Nicht nur er hat etwas gelernt und sich verändert. Sondern auch der Leser hat sich verändert und etwas gelernt.
Durch die Anwendung des neuen mentalen Rahmens auf das Problem wendet der Protagonist/die Protagonistin neuartige Praktiken an und entdeckt, dass zur Lösung des Problems ein Opfer erforderlich ist. Er entscheidet sich für ein Bedürfnis statt für einen Wunsch oder umgekehrt, um das globale Ereignis zu lösen.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Quadranten nicht die gesamte Geschichte abdecken, sondern nur Teile davon sind. Sie unterscheiden sich auch von Sequenzen, die die Veränderung des Einsatzes zeigen, wenn ein Charakter sein Ziel verfolgt.
Die Funktion der Quadranten
Jeder Quadrant lässt uns verstehen, wie der Avatar sich dem globalen Konflikt nähert und sich zu ihm verhält. Wenn der Avatar ein Problem erkennt, muss er eine Strategie entwickeln und diese umsetzen. Stell dir immer wieder ganz konkret die Frage: Was stellt er ganz konkret an, um sein Ziel zu erreichen? Wie reagiert er auf Widerstand?
Die Erkenntnisse, die der Avatar aus der Konfrontation mit dem Konflikt und dem Antagonisten gewinnt, verändern ihn dauerhaft. Aber er lernt es nicht auf einmal. Er lernt, stolpert, fällt, rappelt sich auf und fängt wieder von vorn an.
Die Organisation der Quadranten
Ein Quadrant besteht aus zwei bis sechs Sequenzen, die zu einer größeren Veränderung führen. Dadurch wird der Protagonist gezwungen, seine Herangehensweise, wie er das Problem lösen will, immer wieder zu überdenken und an die Wirklichkeit anzupassen, das durch das auslösende Ereignis entstanden ist.
Die Quadranten entsprechen den fünf Geboten des Geschichtenerzählens, die in jeder Einheit der Geschichte vorhanden sind. Auf der Ebene der Quadranten arbeiten diese Gebote zusammen, um Veränderungen im kognitiven Rahmen des Protagonisten zu vermitteln.
Die wichtigsten Merkmale eines Story-Quadranten
Ein Story-Quadrant zeichnet sich durch Ziele und Praktiken aus. Der Protagonist verfolgt sein globales Wunschziel. Um dieses Ziel zu erreichen, wendet er in jedem Quadranten verschiedene Praktiken an. Des Weiteren tritt eine Veränderung ein, wenn der Charakter sich entscheidet, das Problem auf eine andere Weise anzugehen. Dies geschieht jeweils in den fünf Geboten des Geschichtenerzählens.
Die Vorteile der Quadranten
Mit der Quadrantenstruktur kannst du fesselnde Charaktere erschaffen, die eine Entwicklung durchlaufen und deine Leser faszinieren. So stellst du sicher, dass deine Geschichte einen tiefgreifenden Eindruck hinterlässt und motivierst die Leserinnen und Leser, weiterzulesen.
Beispiel für einen Story-Quadranten
Um es ein wenig anschaulicher zu machen, schauen wir jetzt einfach mal auf den Quadranten Zwei aus dem Roman "Der Hobbit" von J.R.R. Tolkien.
Quadrant 2
Was passiert in diesem Quadranten?
Bilbo erreicht einen Wendepunkt, an dem es kein Zurück gibt. Die Zwerge lassen ihn im Stich. Trotzdem entscheidet er sich dafür, zu ihnen zurückzukehren und akzeptiert dabei seinen Status als Dieb innerhalb der Gruppe.
Die fünf Gebote des Quadranten:
Auslösendes Ereignis: Thorin schickt Bilbo auf eine gefährliche Konfrontation mit fiesen Trollen, aber Gandalf kann den Tag retten.
Wendepunkt und progressive Komplikationen: Auf der Flucht vor den Goblins lassen die Zwerge Bilbo zurück.
Krise: Nun steht Bilbo vor der Frage, ob er alleine weitermachen oder die Zwerge suchen soll.
Höhepunkt: Nachdem Bilbo Gollum überlistet hat und den Kobolden entkommen ist, macht er sich auf die Suche nach den Zwergen.
Auflösung: Bilbo holt die Gruppe wieder ein und ist nun stärker als sie (mit Ausnahme von Gandalf). Er ist nicht mehr derselbe Bilbo wie zu Beginn der Geschichte. Gandalf übergibt schließlich die Verantwortung an Bilbo.
Hier siehst du sehr klar, wie die Quadrantenstruktur dir helfen kann, den Handlungsbogen deiner Geschichte zu entwickeln und deinen Charakteren mehr Tiefe zu verleihen.
Schlusswort
Die vier Story Quadranten des Story Grid sind ein nützliches Werkzeug für Autorinnen und Autoren, um fesselnde Geschichten zu erzählen. Du brauchst nur die Entwicklung deines Avatars in vier Quadranten unterteilen, um einen fesselnden Handlungsbögen zu entwickeln, der deine Leser mitreißt und begeistert.
Mein letzter Tipp: Verbinde die wichtigsten Merkmale der Quadranten mit den fünf Geboten des Geschichtenerzählens. So sorgst du dafür, dass deine Geschichten eine tiefgreifende Wirkung auf deine Leserinnen und Leser haben. Nachfolgend noch ein paar Umsetzungstipps für dich:
Tipps und Tricks, um fesselnde Handlungsbögen zu gestalten:
Weiterführende Literatur
Im Buchclub für Autoren lesen wir Bücher, um unser Schreibhandwerk zu verbesseren. Wie das funktioniert, kannst du hier hören.
Eva Maria Nielsen ist Story-Grid-Lektorin, Autorencoach und gehört zum Team des Bookerfly Clubs. Wenn sie nicht gerade Romane schreibt, unterrichtet und coacht sie andere Autorinnen und Autoren, wie sie ihr Handwerk verbessern können. Sie ist die Gründerin des Bookerfly Buchclubs für Autoren. Du kannst sie regelmäßig auf dem Bookerfly Podcast hören - zusammen mit ihren wunderbaren Kolleginnen. Erhältst du schon den Newsletter? Wenn nicht, dann geht es hier entlang.